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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 18.1907

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Vogt, Adolf: Der neue Zeichen-Unterricht und das Kunst-Gewerbe
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https://doi.org/10.11588/diglit.7501#0161
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Zeugnis von der Entwicklung des kindlichen Geistes,
der immer eins der interessantesten Beobachtungs-
Objekte ist, die es gibt; die Schüler-Zeichnungen
haben jetzt, seitdem nicht mehr nach Vorlagen ge-
arbeitet wird, auf einmal einen hohen Originalwert
erhalten, sie sind nicht Kunstwerke, oft aber viel
wertvoller als solche, wie die ersten unbeholfenen
zeichnerischen Versuche aus der Steinzeit für uns
wichtiger sind als das tadellose Bild eines Durch-
schnittsmalers von heute.

Man kann mit den Erfolgen, die der neue
Zeichenunterricht bisher erzielt hat, sehr zufrieden
sein, und man begreift angesichts solcher erfreu-
lichen Leistungen wohl, warum die Zeichenlehrer jetzt
so gern über ihre Tätigkeit Rechenschaft ablegen.
Ein lebendiger, fröhlicher, jugendlich-schöpferischer
Geist waltet in diesen Erzeugnissen einer naiven
Kunstübung, überall spürt man die Lust und Liebe
zu einer Tätigkeit, bei der das Kind im freien
Spiel seine Kräfte übt und ständig wachsen fühlt.

Die Gewerbetreibenden, aber auch andere Be-
rufe, hatten vordem viel zu klagen über den gänz-

lichen Mangel an zeichnerischem Können, der fast
bei allen jungen Leuten nach Entlassung aus unsern
niederen und höheren Schulen konstatiert werden
mußte. Auch wenn sie den herkömmlichen Zeichen-
unterricht genossen hatten, konnten sie höchstens
Schulvorlagen kopieren, aber sie waren nicht im
stände, auch nur den simpelsten Stuhl aus dem
Kopfe oder nach der Natur richtig zu zeichnen.
Fast in jedem Beruf ist heute eine gewisse zeich-
nerische Fertigkeit erforderlich, zur Notierung und
Demonstration von solchen Dingen, die eben mit
Wort und Schrift nicht exakt und nicht rasch genug
wiederzugeben sind. Dieser Tätigkeit bedarf auch
der Kaufmann, der in der kunstgewerblichen
Branche tätige Kaufmann natürlich erst recht.
Und diese Fertigkeit, die ja mit Kunst weiter nichts
zu tun hat, an die künstlerische Ansprüche nicht
gestellt werden, läßt sich ganz sicher ebenso er-
werben, sie kann ebenso gelernt und beherrscht
werden, wie Lesen und Schreiben. Auf dieses
Ziel steuern denn auch unsere Schulen in ihrem
neuen Zeichenunterricht los. Sie wollen den Schüler
 
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