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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 19.1908

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Jaumann, Anton: Neue Arbeiten von Campbell & Pullich
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https://doi.org/10.11588/diglit.7478#0201

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INNENDEKORATION

XIX. 3HHR6HI1G. Darmlfadt 1908. ^IMi-HEFT,

NEUE ARBEITEN VON CAMPBELL & PULLICH.

Diese Träume und Werke, diese Sehnsüchte und
Versuche sind nur als Äußerungen einer in sich
zerrissenen, über Ziele und Wege mit sich selbst un-
einigen Kultur verständlich. Für sich allein genommen,
erklären sie sich nicht. Sie bleiben in ihrer psycho-
logischen Kompliziertheit ein Rätsel, bis man die Zeit-
erscheinungen zu Hilfe zieht, gegen die sie offenbar
die Reaktion darstellen.

In bewußter Absicht machen hier in ihrem be-
schränkten Wirkungskreise ein paar wesensverwandte
Künstler Front gegen die Maschinen- und Massenkultur,
die draußen die Welt mit ihren zweifelhaften Segnungen
überflutet. Als Menschen wie als Künstler litten sie
unter der seelenlosen Kälte, unter dem Mangel an Tiefe
und Innerlichkeit, mit denen die Vorteile der Zivilisation
zu teuer erkauft waren. Sie waren unbefriedigt: Von
der Lebensform, die sie umgab, von dem Stand des
Wohnwesens insbesondere. Und das trotz der langen
und lauten Wirksamkeit der Moderne.

Wenn sie sich nun in Opposition stellten, so taten
sie's ihrerseits doch ohne Eklat. Sie kündigten nicht
große Taten an. Von dokumentarischen Werken war
keine Rede. Ruhig, in gesammelter zurückgezogener
Arbeit, versuchten sie das in ihr Schaffen und in ihr
ganzes Tun zu legen, was sie anderswo vermißten. Was
hierbei entstand, war eine Synthese. Eine Verschmel-
zung von retrospektiven Elementen, von Formen und
Stimmungen, die aus der Tradition herkamen, und von

Elementen, die ihre Träume aus der Vorstellung einer
zukünftigen, verfeinerten und vertieften Kultur schöpften.
In der Tradition fanden sie — allerdings weniger in
den offiziellen Stilen, als in den von der hohen Schule
unberührten Gebieten des Bürgertums und des Bauern-
hauses — das Natürliche, Innige, Unbekümmerte, nach-
dem sie sich im Gegensatz zu dem Gemachten, Ab-
sichtlichen, Steifen, Aufgeblasenen unserer Produktion
sehnten. Sie gaben sich dem Zauber dieser spinnweb-
umflorten Periode ohne Rückhalt hin und ohne zu
fürchten, darüber ihr neuzeitliches Ich zu verwahrlosen
und mit ihren Liebhabereien außer Kurs zu geraten.
Auf der anderen Seite hatten aber diese jungen Phan-
tasten, die aus dem fortschrittlichsten England und
Amerika kamen, doch eine heftige Leidenschaft für
Komfort und Lebensverfeinerung mitgebracht, die sie
wiederum in unserer derzeitigen Kulturwüstenei nicht
sättigen konnten. Auch nicht in den Leistungen der
Ausstellungsmoderne, die nicht nur Vertiefung und Be-
seelung vermissen ließ, sondern auch den Zusammen-
hang mit einer gehobenen Lebenskunst, als deren Folie
und Werkzeug sie doch geplant war.

So erleben wir das eigenartige Schauspiel einer
Opposition gegen die Moderne, die scheinbar auf der
Tradition fußt, in Wirklichkeit aber mit der alten, zähen
Gilde der Stilimitatoren ebenso wenig gemein hat wie
mit ihren Gegnern. Ihre Ziele sind es, durch die sie
sich von den »Alten« wie den »Jungen« unterscheiden.

li)08. vi. j,
 
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