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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 20.1909

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Bachmann, Paul: Künstler und künstlerische Arbeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.7500#0175
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INNEN-DEKORATION

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als auch den Zusammenhang mit seiner Umgebung
zu beherrschen. Sehen wir es nicht täglich an
Briefköpfen, Einladungskarten, Zeitungsannoncen
usw. welchen Tiefstand unser Buchschmuck noch
einnimmt, welch handwerksmäßiger Arbeiter der
Schriftsetzer ist! Welch ein Glück, daß sich
Künstler dieses Jammers erbarmten, neue Schrift-
typen schufen und gute Beispiele hinstellten, daß
Kunstgewerbeschulen Fachklassen einrichteten, um
den Schriftsetzer und die verwandten Gewerbe
wieder in die Reihe der Kunsthandwerker zu er-
heben. Der Photograph ist doch wohl nicht als
Künstler zu betrachten, denn es ist gewiß ein
anderes, eine stimmungsvolle Landschaft zu photo-
graphieren als zu malen; die Fähigkeit zum guten
Beobachten der Natur allein stempelt doch den
Menschen nicht zum Künstler 1 Eine geschickte
Schneiderin, die nach genauesten Angaben eines
Künstlers ein Frauenkleid fertigt, fühlt sich als
Künstlerin, ihre Tätigkeit kann aber doch erst
kunstgewerblich genannt werden, wenn sie selbst
imstande ist, frei zu erfinden.

Jeder Handwerker, der mit Hilfe eines ihn
völlig leitenden Künstlers künstlerische Objekte
erzeugt, d. h. dem beim Entstehen der rein hand-
werkliche, technische Teil zufällt, fühlt sich selbst
als Künstler. Das ist ein Unding. Die Selbstän-
digkeit, die diese vermeintlichen Künstler in kunst-
gewerblichen, ja selbst in künstlerischen Fragen in
der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts für
sich in Anspruch nahmen, war im letzten Grunde
die Ursache, daß unser gesamtes Kunstgewerbe
auf seinen damaligen Tiefstand verfiel. Daß sich
der gute Geschmack gegen die vielen Sünden
jener Zeit nicht aufbäumte, ist erklärlich, denn
den Volksgeschmack vermögen niemals
einige überzeugte Kämpfer zu leiten, er
wird von einer großen Menge, die die Zeit-
strömung verkörpert, gebildet und ge-
lenkt. Wie eine Erlösung muß man es daher be-
grüßen, daß mit den modernen Bestrebungen ein
anderes Regime einsetzte. Die Wandlung vollzog
sich nicht unmerklich und nicht ohne Widerstand
der in Mitleidenschaft gezogenen Kreise. Hand-
werker und Kaufmann sahen, wenn auch ungern, ihre
Ohnmacht in künstlerischen Dingen ein, es bildeten
sich Künstler heraus, die mit ihnen arbeiten und
denen an den erforderlichen Stellen die Leitung nach
und nach zufiel. Durch diese Scheidung von ent-
werfendem Künstler und ausführendem Handwerker
ist das Kunstgewerbe äußerlich wohl wie nie zuvor
zum gewöhnlichen Handwerk herabgesunken, aber
diese Radikalkur war nötig, um seine Erzeugnisse
auf qualitativ höhere Stufe zu heben, und dieses ist
bereits erreicht. Gelingt es für die Zukunft dem
eifrigen Bemühen des Staates durch seine kunst-
gewerblichen Schulen, durch gute Lehrwerkstätten
und ferner durch private kunstgewerbliche Unter-
nehmungen neuzeitlichen Charakters wirkliche
Kunsthandwerker heranzubilden, wie sie das
Mittelalter kennt, so wird sich ganz im Stillen
die Kluft schließen, wird sich eine Verschmel-
zung von Künstler und Handwerker vollziehen.

KÖLN-LINDENTAL. PAUL BACHMANN.

ARCHITEKT DE FEURE—PARIS. ZIER-SCHRÄNKCHEN IN MAHAGONI
MIT EINGELEGTEN HÖLZERN UND VERSILBERTEN BESCHLÄGEN.
 
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