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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 21.1910

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Wetzel, Ines: Glossen über die Bürgerwohnung, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11378#0316
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298

INNEN-DEKORATION

der ästhetischen Wertung etwas ablehnend
gegenüber steht. »De gustibus non est
disputandum«, damit wird auch heute
noch manche Sünde wider den Geist
der Schönheit entschuldigt wo, trotz
guter Absichten, dem geübten Auge
Disharmonien in einem Räume geboten
werden. Wohl ist der Geschmack Emp-
findung, also an sich einer gedanken-
mäßigen Deduktion nicht zugängig, aber
einer Entwicklung in hohem Maße fähig,
wenn gewisse Voraussetzungen und
Fähigkeiten vorhanden sind. Unsere
Erziehung bildet unsere Sinne nicht
gleichmäßig aus, denn unserm Gehör
wird im allgemeinen eine weit größere
Ausbildung zu teil als unserem Auge.
Wir lernen die Töne, Intervalle, Har-
monien und ihre Auflösungen in der
Musik wohl kennen, nicht aber die der
Farben und des Lichtes, welche noch
unendlich viel feiner sind. Den Rhyth-
mus eines Musikstückes, seine Gliederung
und den Aufbau des Ganzen können
wir viel eher verstehen, als den Rhyth-
mus der Linie, die Gesetze nach denen
sie sich vollenden und wieder lösen muß.
Soll unser Geschmack aber der ästhe-
tischen Voraussetzung konform sein, so
müssen unsere Sinne hellhörig und
feinfühlig werden und Farben und

ARCH. C. SCHWARZ. SCHLAFZIMMER EIN. JUNGEN
MÄDCHENS. WEISS AHORN. STOFFE GRAUBLAU.

die breiteren Schichten der bürgerlichen
Bevölkerung. Seit die Industrie nach-
gelassen hat, dem neuen Geist und den
neuen Gesetzen hartnäckigen Widerstand
entgegen zu setzen, bietet der Markt
heute auch dem minderbemittelten
Käufer sinngemäßen Hausrat und sach-
liche Möbelstücke zu billigen Preisen,
neben den Prachtstücken des neubelebten
Handwerks. Ehrlichkeit des Mate-
rials und Übereinstimmung von
Zweck und Form sind die Grundbe-
dingungen unserer Einrichtungsgegen-
stände geworden und mehr und mehr
füllen sie unsere Häuser und Wohnungen.
— Von größerer Regsamkeit und geistig
rascher beweglich, läßt sich der moderne
Mensch stärker von den ausschlaggeben-
den Vorgängen seiner Zeit beherrschen,
als dies früher der Fall war. So mag
es kommen, daß zwar mancher heute
sein Heim modern einrichtet, aber selbst
im Geiste dem Sinne des Ganzen noch
fremd bleibt. Geschmackskultur und
Wohnungskultur haben nicht ganz
Schritt gehalten mit einander, denn die
Wohnungskultur ist ihrem ästhetischen
Grundgesetz entsprechend objektiver
Art, während der Geschmack ein
subjektiver Begriff ist, folglich also

ARCHITEKT C. W. SCHWARZ—BERLIN. SCHLAFZIMMER EINES JUNGEN MADCHENS.
 
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