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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 28.1917

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Vollert, Konrad: Künstlerischer Egoismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.10024#0368
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346

INNEN-DEKORATION

akch. r1ttmever & furrer—w1nterthur

wohnhaus fqr chauffeur und kutscher

KÜNSTLERISCHER EGOISMUS

Nur soweit er sich als Typus äußert, ist ein Mensch
dem anderen verständlich und seine Äußerung wirk-
sam und fruchtbar. — Man unterstreicht zwar häufig den
Gegensatz zwischen Individualität und Typus und gefällt
sich in der Vorstellung, daß gerade das ausnahmslos Ein-
malige, das Gleichungslose ein Kennzeichen der Indivi-
dualität, der Persönlichkeit sei. — Diese Auffassung ist
in einem wohlberechtigten und edlen Drang nach Ab-
sonderung von der gemeinen Alltäglichkeit, nach Ent-
wicklung über das niedrige Durchschnittsmaß begründet,
der insofern allerdings ein Merkmal aller sittlichen und
schöpferischen Naturen bedeutet. Darüber hinaus jedoch
führt er zu einer tödlichen Absprengung des Einzelnen
aus dem organischen Bau der Allgemeinheit, dem wir
Alle doch angehören, wie die Blätter dem Baum.

Gerade die Kunst, welche als Wesensausdruck son-
dergleichen formuliert worden ist, zeigt uns immer wieder
die natürlichen Grenzen des Individualismus und seine
Entartung, die jenseits dieser unbedingt eintritt.

Es ist die Aufgabe der Kunst, das Geistige in sinnlich
wahrnehmbaren Formen darzustellen — eine Aufgabe,
welche der schöpferischen Individualität ein gewaltiges
Maß von Selbstvertrauen und Eigenwillen abfordert. Im
Chaos der Eindrücke hat sie allein zu wählen, zu richten
und zu schaffen. Je höher das Streben nach Vollendung,

um so mächtiger der Wunsch, das eigene Wesen restlos
auszudrücken. Ein Wunsch, der schließlich nichts
anderes und geringeres ist, als der Selbsterhal-
tungstrieb des Geistes! Doch wie die körperliche
Zeugung — so ausschließlich sie in dem Eigentrieb des
Einzelnen zu wurzeln scheint — dennoch letzten Endes
nur der Ausdruck des Gattungswillens ist, so erweist sich
auch für die tiefere Einsicht, daß der künstlerische Schöp-
fungsakt bedeutungsvoll im eigentlichen Sinn an sich nicht
genannt werden kann, sondern nur im Zug einer großen
Entwickelung gesehen, und daß er nicht an sich selbst
gemessen werden darf, sondern nur an den Grundriß-
maßen , nach denen der Bau des allgemeinen Geistes-
lebens sich aufrichtet.

Selbstlos, auf blendende Entfaltung exzentrischer
Formen verzichtend, ordnet sich die hohe Persönlichkeit
— nicht nur die künstlerische — in jene Tradition ein,
die das Dasein allein mit einem Sinn zu erfüllen vermag.

Wir haben gerade in unserer Zeit, man möchte sagen:
Ausbrüche eines künstlerischen Egoismus erlebt, Ver-
suche das Individuum außerhalb geistiger und sozialer
Gemeinschaft zu stellen, den Organismus der seelischen
Gesamtheit durch Emanzipation der einzelnen Sinnes Wahr-
nehmungen zu sprengen. Eine Bereicherung ist uns da-
durch nicht widerfahren... dr. konrad vollert-berlin.
 
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