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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 28.1917

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Luethgen, Eugen: Kunstgewerbe und Industrie
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https://doi.org/10.11588/diglit.10024#0415
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INNEN-DEKORATION 393

aufs äußerste gesteigerten Zweckvorstellung. Und diese
einfache Klarheit, die in jedem Falle den erstrebten Zweck
mit den denkbar geringsten und zugleich besten Mitteln
erreicht, beherrscht ebenso das Kunstgewerbe wie die
Industrie. Das ist der Grund, weshalb der tektonische
Stil des modernen Kunstgewerbes, dem die knappe Werk-
form das letzte und höchste Ziel des künstlerischen
Schaffens bedeutet, in
der Tat ganz aus dem
Geist der Zeit geboren
erscheint. Denn diese
Auffassung wird getra-
gen von der Gesamt-
heit der wissenschaft-
lichen und gefühlsmä-
ßigen Anschauungen
unserer Zeit. Wie die
logische Folgerichtig-
keit des Denkens als
ein besonderes Kenn-
zeichen des modernen
Menschen anzuspre-
chen ist, so hat sie auch
die Entwicklung des
Kunstgewerbes und der
Technik richtungswei-
send beeinflußt. —
Überblicktman dieEnt-
wicklung der geschicht-
lichen Stile, so wird
offenbar, wie dieses
Gesetz der Einfachheit
verzweifelt gegen die
Übermacht der Über-
lieferung hat ankämp-
fen müssen. Bedenkt
man weiterhin, daß mit
den außerordentlichen
Fortschritten der Tech-
nik und Industrie eine
massenhafteErzeugung
billiger Gebrauchsge-
genstände möglich wur-
de, so wird klar, daß
für dieses Übermaß der
Formen im Beginne
der Entwicklung keine
künstlerische Lösung
gefunden werden konn-
te. Denn der Instinkt
für Linie, Farbe und
Form konnte keinen

Schritt halten mit diesen Massen plötzlicher Formgestal-
tungen, die naturgemäß bezüglich ihrer künstlerischen
Durchgeistigung auf langsamere Entwicklung angewiesen
waren. — Damit ist aber auf einen zweiten höchst bedeut-
samen Einfluß aus der Industrie auf das Kunstgewerbe
hingewiesen. Auf den Wandel in der Persönlichkeit des
Auftraggebers. Während in den eigentlich geschichtlichen
Stilen der Auftraggeber dem Künstler zumeist eine Auf-
gabe stellte, die durchaus persönlich bedingt und persönlich
umgrenzt war, hat die Sucht nach Massenerzeugnissen
den Auftraggeber so gut wie ausgeschalten, wenigstens
soweit der persönliche Geschmack und Wille eines Auf-

PROFESSOR ERHST .L1CHTBLAU. WANDLEUCHTER IN NEBENSTEHEND. SALON

traggebers in Frage steht. Für die große Zahl der
kunstgewerblichen Erzeugnisse ist der Auf traggeber ersetzt
durch den gleichsam unfaßbaren Begriff der Masse. Denn
die kunstgewerblichen Formen entsprechen dem geld-
lichen Wert der kunstgewerblichen Schöpfungen am ehe-
sten, die dem Geschmack der größten Zahl Kauflustiger
entsprechen. Damit wird der eigentlich künstlerische

Wert in seiner Bedeu-
tung herabgesetzt. An
seine Stelle ist ein an-
deres, außerkünstleri-
sches Merkmal des
Wertes getreten: die
praktische Verwend-
barkeit. Bewertet man
diese nahen Beziehun-
gen desKunstgewerbes
zur Industrie so hoch,
wie sie es heute ver-
dienen, muß man der
Kraft des Zeitstiles ihre
alte starke Wirkung auf
die künstlerische For-
mensprache wieder zu-
erkennen. So wird es
verständlich, aus wel-
chen Gründen in der
zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts eineTheo-
rie hat ausschließliche
Geltung gewinnen kön-
nen, die das eigent-
lich Schöpferische im
künstlerischen so gut
wie ganz ausschaltete,
die Theorie Gottfried
Sempers. — Gottfried
Semper hat in seinem
grundlegenden Werke
»Der Stil in den tech-
nischen und tektoni-
schen Künsten« sich
dahin ausgesprochen,
daß ein Kunstwerk
nichts anderes sein solle
als ein mechanisches
Produkt ausGebrauchs-
zweck, Rohstoff und
Technik. Dagegen setz-
te Aloys Riegel seine
teleologische Auffas-
sung, nach der das
Kunstwerk das Resultat eines bestimmten und zweck-
bewußten Kunstwollens ist, das sich im Kampfe mit Ge-
brauchszweck, Rohstoff und Technik behauptet. »Diesen
drei letzten Faktoren käme darnach nicht mehr jene
positive schöpferische Rolle zu, die ihnen jene mate-
rialistische Theorie zugedacht hatte, sondern eine hem-
mende, negative: sie bilden gleichsam die Reibungskoef-
fizienten innerhalb des Gesamtproduktes.«

Es entspricht durchaus den geistigen Grundlagen der
Zeit, daß die leicht faßbare, aus Technik und Natur-
wissenschaft genährte Auffassung Sempers den Sieg davon-
trug. Schon 1851 hatte Semper die kunsterzeugende

Uli. XL t.
 
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