»DAS MUSIKZIMMER«
Braucht man überhaupt ein Musikzimmer? Ist Musik-
Übung an bestimmte Räume gebunden? Wo sich
Künstler mit ihren Instrumenten einfinden, wo die Töne
sich verschmelzen, da ist ein Tempel der Tonkunst ge-
schaffen. Vergessen wird alles ringsumher, Raum und
Zeit versinken, — Harmonie und Rhythmus und ihre
Träger, die Künstler, sind alles! . . .
Musikräume wären vielleicht, vom Standpunkt des
Künstlers aus betrachtet, entbehrlich. Weniger freilich vom
Standpunkte des Zuhörers. Er braucht zur Steigerung
seines Genusses, zur Verstärkung seiner Entrückung einen
Abstand, er braucht die Möglichkeit, sich zu konzen-
trieren, er bedarf eines richtigen Verhältnisses zur Ton-
wirkung und zu den Ausübenden. Fügt man noch hinzu,
daß es angenehmer ist, bei musikalischen Darbietungen
in einem Polsterstuhl zu sitzen, anstatt auf einem Garten-
zaun zu hocken, so erscheint Grund genug vorhanden,
der Berechtigung eigener Musikräume in kultur-
frohen Häusern Rechnung zu tragen.
Die Geschichte der Wohnungskultur hat diese Be-
rechtigung seit etwa zweihundert Jahren anerkannt. —
Die ersten Spuren finden wir im 17. Jahrhundert auf
Terborchs wundervollen Gemälden, die Spinett- oder
Lautespielende Gestalten in würdig einfachen Gemächern
zeigen. Ganz ausgesprochene Musikzimmer sind frei-
lich erst mit der großen Blütezeit der Hausmusik im 18.
Jahrhundert entstanden. Mit Mozarts Auftreten finden
wir auch die ersten Musikräume im Stadthaus und in den
Schlössern der Begüterten. Es sind hohe, hellgehaltene
Räume im Rokokogeschmack, mit reichen Stukkaturen
an den architektonisch geteilten Wänden, über den Türen
zu entzückenden Ornamenten und Girlanden, die sich
um musikalische Instrumente winden, vereinigt. Auf der
Decke, die den gläsernen Lüster trägt, schweben Amoret-
ten mit Vögeln und Schmetterlingen im Wolkenreigen.
Zwischen den hohen Fenstern finden wir mächtige, ein-
gelassene Spiegel mit reich geschnitzten Trumeaux. Ein
zierlicher Marmorkamin mit goldbronzener Pendüle und
zwei Kandelabern geschmückt, sorgt für behagliche Wärme.
Vorhänge und Bilder fehlen. Als Mobiliar finden wir um
das kunstvoll mit Lack oder Ölmalerei über und über
reich verzierte Spinett oder Cembalo und die vergoldeten
Notenpulte nur einige geschweifte Sessel, mit Aubusson-
Geweben überzogen. Vielleicht auch ein zierliches
Kanapee, für die ältesten und vornehmsten Zuhörer-
innen. Der Jugend sind leichte Stühlchen vorbehalten.
Man denke an Menzels Gemälde: »Flötenkonzert« am
Hofe Friedrichs des Großen im Schlosse zu Sanssouci.
Ähnlich, nur stilistisch feierlicher und großartiger sieht
das Musikzimmer oder der Musiksaal des Louis XVI.
aus. Verschwunden sind die chinesischen und grotesken
Kurven, verschwunden die galante Zierlichkeit. Geblieben
ist nur der weiße oder leichtfarbige Stuck und die An-
ordnung der Möblierung. An Stelle des bemalten Tasten-
instruments erscheinen auch schon solche aus edlen Höl-
zern, einfach oder mit Einlege-Arbeit.
Klar und einfach wie die musikalischen Linien und
Rhythmen jener Periode mutet die Ausgestaltung des
Musikraumes des 18. Jahrhunderts an. Unserem Gefühl
nach vielleicht zu rein und ungedämpft. Freilich war die
Menschheit jener Zeit auch eine andere, und bei allem
komplizierten Formalismus der Umgangsformen doch
weit weniger kompliziert als wir. Und dann muß man in
Erwägung ziehen, daß diese Räume den Hintergrund
zu einer auch äußerlich in ihrer Kleidung anderen Welt
bildeten, als die unsere ist. Jene Menschen bewegten
sich in bunten Samtfräcken, in silbergestickten Krinolinen-
kostümen, wenn sie einer Harfenkönigin, einem Meister
des Flötenspiels, des Cembalos oder einem Quartett von
Violinen oder Holzblasinstrumenten lauschten. So bunte
Gestalten vertrugen keinen farbigen Hintergrund.
Mit der französischen Revolution und dem Eintreten
der Empirezeit vereinfachte sich das Farbige der Klei-
dung. Die Folge davon spiegelt sich im Musikzimmer
insofern, als in ihm dunkelgrüne, erdbeerfarbene und
zitronengelbe Damasttapeten an den Wänden erscheinen.
Das Tasteninstrument kleidet sich in das alleinselig-
machende Mahagoni. Aus der alten Zeit bleiben nur
noch Supraporten, allerdings gänzlich umgewandelt und
im Geiste des wiedererwachten Hellenismus. Auch ge-
malte Grisaillen erscheinen als Stuck-Ersatz.
Das Biedermeier, der erste Reichsnotopfer-Stil,
macht die größte Einfachheit zur Tugend. Allem Luxus
an Material und Ornament abhold, ist er ganz und gar
Billigkeits- und Zweckstil. Dementsprechend das Musik-
zimmer dieser Periode ausgemachtes Sparta. Nüchterne
Wände mit Leimfarbe, in bescheidenster Ornamentik be-
malt oder mit geblümten Tapeten beklebt, Tüllgardinchen,
Blumentöpfchen, Möbel aus einheimischen Obsthölzern,
ebenso die ersten Flügel, Tafelklaviere und Pianinos.
Selbst die Harfe, die goldene Königin der Instrumente, er-
scheint im bürgerlichen Kleid des Birnbaumholzes. Aber
was in diesen Räumen klang und gespielt wurde, das
gehörte mit zum Besten: Beethoven, Schubert, Schumann.
Nach dem Biedermeier mit dem steigenden Luxus
formiert sich der W i e d e r k ä u e r s t i 1, die endlose Periode,
die über Gothik, Renaissance, Rokoko, Louis XVI. und
Empire sich immer wieder neu eklektisch verjüngt, und
daher das Musikzimmer vielgestaltig, vielseitig im Zeit-
geschmack, aber kaum neu, kaum ursprünglich, von einigen
Beispielen abgesehen, die sich in Semperschen Stadt-
palästen, oder in Räumen von einem Gedon oder einem
Seidl geschaffen, finden.
Die Moderne erst hat dem Musikzimmer ganz neue
Formen gegeben. Olbrichs junge Kunst schuf einen ganz
neuen Typ, andere folgten ihm mit Glück. Das Neue
äußerte sich vor allem darin, daß man die Farbenwelt
gemeinsam mit den Tönen andächtige Stimmungen er-
zeugen ließ. Dazu Symbolik rhythmisch schwingender
Linien, Nutzbarmachung elektrischer Beleuchtungseffekte
für gewisse musikalische Darbietungen und endlich Ver-
suche, Pianino und Flügel in ein modernes Gewand zu
kleiden. Dieses gar gewaltsam, — gegen die von der
natürlichen Tonbildung bedingte Form! So sehr die
ersten Teile des neuen Programms als Experimente zu
billigen sind, so wenig glücklich haben sich die Ver-
suche, die Instrumente kunstgewerblich auszugestalten,
erwiesen. Der farbenfreudigen Rokokozeit kann man
ein gemaltes Cembalo in einem weißgekalkten Raum
ästhetisch verzeihen. Ein bemustertes, intarsiertes Klavier
in einem überall gemusterten, marmorierten, intarsierten,
gemalten und architektonisch sonst vielseitigem Raum,
Braucht man überhaupt ein Musikzimmer? Ist Musik-
Übung an bestimmte Räume gebunden? Wo sich
Künstler mit ihren Instrumenten einfinden, wo die Töne
sich verschmelzen, da ist ein Tempel der Tonkunst ge-
schaffen. Vergessen wird alles ringsumher, Raum und
Zeit versinken, — Harmonie und Rhythmus und ihre
Träger, die Künstler, sind alles! . . .
Musikräume wären vielleicht, vom Standpunkt des
Künstlers aus betrachtet, entbehrlich. Weniger freilich vom
Standpunkte des Zuhörers. Er braucht zur Steigerung
seines Genusses, zur Verstärkung seiner Entrückung einen
Abstand, er braucht die Möglichkeit, sich zu konzen-
trieren, er bedarf eines richtigen Verhältnisses zur Ton-
wirkung und zu den Ausübenden. Fügt man noch hinzu,
daß es angenehmer ist, bei musikalischen Darbietungen
in einem Polsterstuhl zu sitzen, anstatt auf einem Garten-
zaun zu hocken, so erscheint Grund genug vorhanden,
der Berechtigung eigener Musikräume in kultur-
frohen Häusern Rechnung zu tragen.
Die Geschichte der Wohnungskultur hat diese Be-
rechtigung seit etwa zweihundert Jahren anerkannt. —
Die ersten Spuren finden wir im 17. Jahrhundert auf
Terborchs wundervollen Gemälden, die Spinett- oder
Lautespielende Gestalten in würdig einfachen Gemächern
zeigen. Ganz ausgesprochene Musikzimmer sind frei-
lich erst mit der großen Blütezeit der Hausmusik im 18.
Jahrhundert entstanden. Mit Mozarts Auftreten finden
wir auch die ersten Musikräume im Stadthaus und in den
Schlössern der Begüterten. Es sind hohe, hellgehaltene
Räume im Rokokogeschmack, mit reichen Stukkaturen
an den architektonisch geteilten Wänden, über den Türen
zu entzückenden Ornamenten und Girlanden, die sich
um musikalische Instrumente winden, vereinigt. Auf der
Decke, die den gläsernen Lüster trägt, schweben Amoret-
ten mit Vögeln und Schmetterlingen im Wolkenreigen.
Zwischen den hohen Fenstern finden wir mächtige, ein-
gelassene Spiegel mit reich geschnitzten Trumeaux. Ein
zierlicher Marmorkamin mit goldbronzener Pendüle und
zwei Kandelabern geschmückt, sorgt für behagliche Wärme.
Vorhänge und Bilder fehlen. Als Mobiliar finden wir um
das kunstvoll mit Lack oder Ölmalerei über und über
reich verzierte Spinett oder Cembalo und die vergoldeten
Notenpulte nur einige geschweifte Sessel, mit Aubusson-
Geweben überzogen. Vielleicht auch ein zierliches
Kanapee, für die ältesten und vornehmsten Zuhörer-
innen. Der Jugend sind leichte Stühlchen vorbehalten.
Man denke an Menzels Gemälde: »Flötenkonzert« am
Hofe Friedrichs des Großen im Schlosse zu Sanssouci.
Ähnlich, nur stilistisch feierlicher und großartiger sieht
das Musikzimmer oder der Musiksaal des Louis XVI.
aus. Verschwunden sind die chinesischen und grotesken
Kurven, verschwunden die galante Zierlichkeit. Geblieben
ist nur der weiße oder leichtfarbige Stuck und die An-
ordnung der Möblierung. An Stelle des bemalten Tasten-
instruments erscheinen auch schon solche aus edlen Höl-
zern, einfach oder mit Einlege-Arbeit.
Klar und einfach wie die musikalischen Linien und
Rhythmen jener Periode mutet die Ausgestaltung des
Musikraumes des 18. Jahrhunderts an. Unserem Gefühl
nach vielleicht zu rein und ungedämpft. Freilich war die
Menschheit jener Zeit auch eine andere, und bei allem
komplizierten Formalismus der Umgangsformen doch
weit weniger kompliziert als wir. Und dann muß man in
Erwägung ziehen, daß diese Räume den Hintergrund
zu einer auch äußerlich in ihrer Kleidung anderen Welt
bildeten, als die unsere ist. Jene Menschen bewegten
sich in bunten Samtfräcken, in silbergestickten Krinolinen-
kostümen, wenn sie einer Harfenkönigin, einem Meister
des Flötenspiels, des Cembalos oder einem Quartett von
Violinen oder Holzblasinstrumenten lauschten. So bunte
Gestalten vertrugen keinen farbigen Hintergrund.
Mit der französischen Revolution und dem Eintreten
der Empirezeit vereinfachte sich das Farbige der Klei-
dung. Die Folge davon spiegelt sich im Musikzimmer
insofern, als in ihm dunkelgrüne, erdbeerfarbene und
zitronengelbe Damasttapeten an den Wänden erscheinen.
Das Tasteninstrument kleidet sich in das alleinselig-
machende Mahagoni. Aus der alten Zeit bleiben nur
noch Supraporten, allerdings gänzlich umgewandelt und
im Geiste des wiedererwachten Hellenismus. Auch ge-
malte Grisaillen erscheinen als Stuck-Ersatz.
Das Biedermeier, der erste Reichsnotopfer-Stil,
macht die größte Einfachheit zur Tugend. Allem Luxus
an Material und Ornament abhold, ist er ganz und gar
Billigkeits- und Zweckstil. Dementsprechend das Musik-
zimmer dieser Periode ausgemachtes Sparta. Nüchterne
Wände mit Leimfarbe, in bescheidenster Ornamentik be-
malt oder mit geblümten Tapeten beklebt, Tüllgardinchen,
Blumentöpfchen, Möbel aus einheimischen Obsthölzern,
ebenso die ersten Flügel, Tafelklaviere und Pianinos.
Selbst die Harfe, die goldene Königin der Instrumente, er-
scheint im bürgerlichen Kleid des Birnbaumholzes. Aber
was in diesen Räumen klang und gespielt wurde, das
gehörte mit zum Besten: Beethoven, Schubert, Schumann.
Nach dem Biedermeier mit dem steigenden Luxus
formiert sich der W i e d e r k ä u e r s t i 1, die endlose Periode,
die über Gothik, Renaissance, Rokoko, Louis XVI. und
Empire sich immer wieder neu eklektisch verjüngt, und
daher das Musikzimmer vielgestaltig, vielseitig im Zeit-
geschmack, aber kaum neu, kaum ursprünglich, von einigen
Beispielen abgesehen, die sich in Semperschen Stadt-
palästen, oder in Räumen von einem Gedon oder einem
Seidl geschaffen, finden.
Die Moderne erst hat dem Musikzimmer ganz neue
Formen gegeben. Olbrichs junge Kunst schuf einen ganz
neuen Typ, andere folgten ihm mit Glück. Das Neue
äußerte sich vor allem darin, daß man die Farbenwelt
gemeinsam mit den Tönen andächtige Stimmungen er-
zeugen ließ. Dazu Symbolik rhythmisch schwingender
Linien, Nutzbarmachung elektrischer Beleuchtungseffekte
für gewisse musikalische Darbietungen und endlich Ver-
suche, Pianino und Flügel in ein modernes Gewand zu
kleiden. Dieses gar gewaltsam, — gegen die von der
natürlichen Tonbildung bedingte Form! So sehr die
ersten Teile des neuen Programms als Experimente zu
billigen sind, so wenig glücklich haben sich die Ver-
suche, die Instrumente kunstgewerblich auszugestalten,
erwiesen. Der farbenfreudigen Rokokozeit kann man
ein gemaltes Cembalo in einem weißgekalkten Raum
ästhetisch verzeihen. Ein bemustertes, intarsiertes Klavier
in einem überall gemusterten, marmorierten, intarsierten,
gemalten und architektonisch sonst vielseitigem Raum,