DOI Artikel:
Michel, Wilhelm: Der geistige Kern
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.10703#0188
168
INNEN-DEKORATION
ARCHITEKT CARL MÜLLER IN KÖLN RAUM AUS DEN SCHAUFENSTERN B. & SCH.
DER GEIS
Auch der moderne Wohn bau, auch der mo-
ri derne Innenraum macht jene »geistige
Wendung« mit, die besonders unsere Jugend er-
griffen hat. Der moderne Mensch »stellt sich«
der Aufgabe, dem Problem, der Wirklichkeit; er
setzt sich ein, ohne ironischen Seitenblick, ohne
ästhetischen Vorbehalt; er wagt sich, er riskiert
sich; er spricht zu den Zwecken und Bedürfnissen
des tatsächlichen Wohnens ein gerades, nüchternes
Wort. Und diese Haltung ist nicht bloß Sache
einer bestimmten Generation. In der Zeit liegt die
Kraft, die hier wirkt. Alle Menschen von heute
hungern nach der Wirklichkeit. Der neue Wohn-
bau lebt nicht aus einem neuen ästhetischen Wert,
sondern aus einer neuen ethischen Haltung. . . .
Eine ethische Härtung ist eingetreten: es gilt
die »Grundlagen einer neuen Welt« zu stiften.
Darin liegt nicht nur Anspruch, sondern auch Be-
scheidenheit. Der moderne Wohnraum hängt nicht
mehr mit dem qualmigen Totalitäts-Anspruch des
früheren Menschen zusammen; er lehnt den Hoch-
IGE KERN
mut ab, der darin liegt. Der moderne Wohnraum
tritt damit — welch eine bedeutsame Beziehung!
— in die moderne Kampffront gegen den Idealis-
mus ein: die Leistung, die im bestimmten Augen-
blicke und am bestimmten Ort verlangt ist, will er
darbieten, so direkt, so dicht und knapp wie mög-
lich. Die Bescheidenheit der willig angenom-
menen Arbeitsteilung — das ist die Bescheiden-
heit des modernen Wohnraums und des Menschen,
der ihm entspricht. Seine Nüchternheit hat welt-
anschauliches Gewicht. Der moderne Stil ist der
des rücksichtslosen Selbsteinsatzes; er ist der Stil
des vollen Eintretens des Dinges wie des Menschen
in die Situation, in den Dienst, in die Funk-
tion. Dieser geistige Kern ist es, der dem
neuen Formen sein Gewicht, seine überzeugende
Gewalt gibt. Dieser geistige Kern ist es, der das
neue Formen zu den wesentlichsten Kräften des
geistesgeschichtlichen Augenblicks in Beziehung
setzt.. Andere Zeiten, andere Aufgaben. Aber es
gehört zum innersten Wesen des modernen Men-
INNEN-DEKORATION
ARCHITEKT CARL MÜLLER IN KÖLN RAUM AUS DEN SCHAUFENSTERN B. & SCH.
DER GEIS
Auch der moderne Wohn bau, auch der mo-
ri derne Innenraum macht jene »geistige
Wendung« mit, die besonders unsere Jugend er-
griffen hat. Der moderne Mensch »stellt sich«
der Aufgabe, dem Problem, der Wirklichkeit; er
setzt sich ein, ohne ironischen Seitenblick, ohne
ästhetischen Vorbehalt; er wagt sich, er riskiert
sich; er spricht zu den Zwecken und Bedürfnissen
des tatsächlichen Wohnens ein gerades, nüchternes
Wort. Und diese Haltung ist nicht bloß Sache
einer bestimmten Generation. In der Zeit liegt die
Kraft, die hier wirkt. Alle Menschen von heute
hungern nach der Wirklichkeit. Der neue Wohn-
bau lebt nicht aus einem neuen ästhetischen Wert,
sondern aus einer neuen ethischen Haltung. . . .
Eine ethische Härtung ist eingetreten: es gilt
die »Grundlagen einer neuen Welt« zu stiften.
Darin liegt nicht nur Anspruch, sondern auch Be-
scheidenheit. Der moderne Wohnraum hängt nicht
mehr mit dem qualmigen Totalitäts-Anspruch des
früheren Menschen zusammen; er lehnt den Hoch-
IGE KERN
mut ab, der darin liegt. Der moderne Wohnraum
tritt damit — welch eine bedeutsame Beziehung!
— in die moderne Kampffront gegen den Idealis-
mus ein: die Leistung, die im bestimmten Augen-
blicke und am bestimmten Ort verlangt ist, will er
darbieten, so direkt, so dicht und knapp wie mög-
lich. Die Bescheidenheit der willig angenom-
menen Arbeitsteilung — das ist die Bescheiden-
heit des modernen Wohnraums und des Menschen,
der ihm entspricht. Seine Nüchternheit hat welt-
anschauliches Gewicht. Der moderne Stil ist der
des rücksichtslosen Selbsteinsatzes; er ist der Stil
des vollen Eintretens des Dinges wie des Menschen
in die Situation, in den Dienst, in die Funk-
tion. Dieser geistige Kern ist es, der dem
neuen Formen sein Gewicht, seine überzeugende
Gewalt gibt. Dieser geistige Kern ist es, der das
neue Formen zu den wesentlichsten Kräften des
geistesgeschichtlichen Augenblicks in Beziehung
setzt.. Andere Zeiten, andere Aufgaben. Aber es
gehört zum innersten Wesen des modernen Men-