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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 41.1930

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Wenzel, Alfred: Differenzierung der Wege
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https://doi.org/10.11588/diglit.10703#0230
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210 INNEN-DEKORATION

TR. S1MMEN & Cie. ARCHITEKT HANS BUSER BÜFETT IN MATT. KAUKASISCH NUSSHOLZ

DIFFERENZIERUNG DER WEGE

Eure Wege sind nicht unsere Wege«, — so pflegt
man mitunter, ein biblisches Wort variierend,
zu sagen, wenn man anderen zu verstehen geben
will, wie verschieden die eigenen Ansichten oder
Absichten von den ihren sind. . Es könnte nir-
gends sinnvoller angewendet werden als dort, wo
es sich um den Unterschied zwischen moderner
und alter Hausbau-Form handelt: denn nicht nur,
daß ganz im allgemeinen eine veränderte Rich-
tung für unser Streben bestimmend ist, alle Ver-
schiedenheit liegt nämlich, im Grunde genommen,
tatsächlich nur an den »Wegen«, — nicht im
übertragenen, sondern im ganz wörtlichen Sinne.

*

Dem Grandseigneur des Barock gefiel es, immer
auf einer »Achse« zu wandeln, symmetrisch rechts
und links die spiegelgleichen Dinge vor sich sehend;
ihm entsprachen solche Wege, sonst wären sie
überhaupt nicht angelegt worden; die Achse seiner
Gärten, seiner Fassaden, seiner Zimmerfluchten
ist seine besondere Form; sie paßte zu ihm wie
seine Perücke. — Für uns aber ist diese »Achse«
nur dort noch von einer Geltung, wo wir uns aus
freien Stücken in ein gewissermaßen symbolisches
Ritual begeben, feierlich sein wollen, und um eine
Stimmung der Feierlichkeit in uns anzuregen, uns

einer Art von Zeremoniell unterziehen wollen.
Der Weg in der Achse ist uns heute nur mehr
eine bewußt vorgenommene »Allüre«, zu der wir
uns unter gewissen Umständen gern verstehen.
Unsere »eigenen Wege« aber sind differen-
zierter, denn wir sind — mit jenen Menschen
verglichen — lebendiger, beweglicher, bewegungs-
freudiger und auch bewegungssüchtiger — wir
könnten vielleicht einfach sagen »natürlicher«,
wenn wir nicht annehmen müßten, daß auch jene
auf ihrer Art ihrer »Natur« folgten, — jedenfalls
schätzen wir Freiheit und Unbehindertheit höher,
wir wollen wohl gleichzeitig auch in einem guten
Sinne »geleitet«, in angenehmer Weise gelenkt
werden, — aber gerade nur so viel, daß wir un-
sere Freiheit dadurch nicht beschnitten fühlen .

Darum sind die Wege, die wir in unserem
Hause gehen wollen, kompliziert und ihre Planung
ist schwieriger als die Anlage von Doppelflügel-
türen-Fluchten in den Wandmitten. Man hat an
viel mehr zu denken, sollen die Wege gefunden
werden, auf denen der moderne Mensch — mit
seinem Bedürfnis nach feinverwobener Einheit
von freier Bewegungsmöglichkeit und sachte, aber
deutlich spürbarer, regelnder Bindung — in Be-
hagen zu wandeln wünscht. ... Dr. alfred wenzel.
 
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