Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 41.1930

DOI Artikel:
Löwitsch, Franz: Beitrag zur Raumwissenschaft, [3]
DOI Artikel:
Graeser, Camille: Ruheraum der Frau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.10703#0345
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
BEITRAG ZUR RAUMWISSENSCHAFT

von dipl. ing. franz lowitsch (iii. teil)

Die heutige Bauwissenschaft befaßt sich in der
Hauptsache mit der Technik des Bauens; die
Lehre der Gestalt des Raumes beschränkt sich
fast durchweg auf historische Betrachtungen; die
der Konstruktion ist rein praktisch eingestellt; in
beiden Richtungen fehlt heute noch eine grund-
legende Theorie d. h. Morphologie, die sie von
der historisch-praktischen Einengung befreit. . .

Eine Wissenschaft, die die Funktion des
Raumes systematisch untersuchen würde, fehlt
fast vollständig. (Wertvolle Ansätze sind aller-
dings z. B. in der »Raumakustik« und in den Ver-
suchen der »Reichsforschungs-Gesellschaft für
wirtschaftl. Bauen« zur Ermittlung von Kleinst-
wohnungs-Größen vorhanden.) Ebenso fehlt noch
eine Wissenschaft der Bedürfnisse, sowohl der

räumlichen, wie der konstruktiven......

Dauernd steht der Architekt vor der Aufgabe,
mit dem geringsten Aufwand die größte Leistung
zu erzielen, also vor der Frage: »Was leisten
die entworfenen Räume?« Solange man sich
nicht auf wissenschaftliches Beweismaterial stützen
kann, muß hier ein Streit blinder Meinungen
herrschen. Es geht nicht an, die Wirkungen des
Raumes als »Imponderabilien« zu vernachlässigen

oder sie nur gefühlsmäßig abzuschätzen.....



Die in Wissenschaft und Praxis gleich fühlbare
Lücke könnte durch ein »Raumwissenschaft-
liches Institut« beseitigt werden. Keimzelle
und Mittelpunkt kann ein »raumwissenschaftliches
Laboratorium« sein, in welchem nach exakten
Methoden räumliche Funktion und räumliche Be-
dürfnisse experimentell untersucht werden.....

Gegenstände der Versuche sind: Räume
verschiedener Größe, Gestalt, Proportion, Lage.
Größe und Lage der Fenster und Türen, der Ein-
richtungsstücke, Möblierung; Licht und Farbver-
hältnisse; Temperatur, Belüftung, Feuchtigkeit;
akustische Verhältnisse usw.; Modelle von Kleinst-
wohnungen, Büro- und Fabrikräumen usw.....

Praktische Versuche: In der Praxis übliche
Räume sind auf ihre Brauchbarkeit zu prüfen.
Versuchswohnungen, zur Ermittlung der Wohn-
lichkeit, ihres Einflusses auf das Wohlbefinden,
auf das Wohnen und Leben. Arbeits- und Büro-
räume, zur Ermittlung der Leistungs-Beeinflussung.

Exakte Versuche: Ermittlung der physi-
kalisch-chemischen Funktionen (Wirkungen)
von Raumgestalt und Material. Ermittlung der
biologischen Funktionen, Wirkungen auf den
Menschen, und zwar: 1) subjektiv-psycholo-
gische Reaktionen, in denen sich das Wohl-
befinden und die seelische Leistungsfähigkeit des
Menschen manifestieren; Vorstellungs-, Empfin-

dungs- und Gefühls-Analysen, Beeinflussung der
Aufmerksamkeit, des Richtungssinnes, der Kon-
zentration u. Assoziation; Beklemmungs-, Höhen-
und Schwindelgefühle usw., erfaßbar nach den Me-
thoden der experimentellen Psychologie. 2) Ob-
jektiv-physiologische Reaktionen: Beein-
flussung der Atmung, des Pulses, der Muskel-Kon-
traktionen usw. 3) Motorische Reaktionen: Be-
einflussung des Bewegungs-Vermögens, des Orien-
tierungs- u. Richtungssinnes, Minimai-Bewegungs-
größen, rhythmische Einflüsse usw. 4) Sprach-
liche Reaktionen: Sprechhemmungen und -Er-
leichterungen durch die Raumform. (Ausgangs-
punkt; die Versuche von Prof. Sievers).....



Ergänzungen der Laboratoriums-Versuche
durch geschichtliche Erfahrungen, Beobachtungen
und Statistiken in der Praxis, im Wohnen, Arbeiten,
in der Schule usw. . Aus dem Aufgabenkreis folgt,
daß in dem raumwissenschaftlichen Institut der
Architekt in Gemeinschaft mit dem jeweiligen
Fachmann, Physiker, Psychologen, Physiologen,
Bewegungs- und Sprachfachmann, Wohn- und
Betriebstechniker zusammenarbeiten muß. . . f. l.



»RUHERAUM DER FRAU«

Es ist im Zeitalter der Frau nichts außergewöhn-
liches, wenn die Frau souverän ihren Raum
— als Manifestation einer errungenen Freiheit —
sich baut, in dem sie uneingeschränkt schaltet
und waltet. Die berufstätige Frau hat damit —
von anderen Voraussetzungen ausgehend — schon
früher Ernst gemacht. . Die Gestaltung des hier
abgebildeten »Ruheraums der Gattin«
(S. 324, 326) ist von derjenigen des Junggesellin-
Raumes grundverschieden. Die Ausdeutung ist
hier gesellschaftlicher, dort sozialer Natur. . Die
Gedanken, die für die Raumausnutzung hier aus-
schlaggebend waren, sind folgende: es galt, zweck-
mäßige Möbel zu schaffen, die den Raum nicht
blockieren, sondern luftig gliedern durch klare
Zweckbestimmung und Übersichtlichkeit. Domi-
nante ist das Ruhebett: in hellem, poliertem Vogel-
augen-Ahorn mit Mahagonisockel und chinesisch-
roter Seiden-Daunendecke. Die Wände sind tau-
bengrau. Der Frisiertisch ist fahrbar, die Glas-
abdeckung ermöglicht eine Ubersicht über die
Toilette-Utensilien. Für den Typ des Kleider-
schranks ist charakteristisch der volle Sockel und
die Schiebetüren; dazu ein Wäscheschrank mit
Klappen-Öffnung; eine Kugellampe am Bett; ein
einziges Bild: eine Madonna des Stuttgarter Malers
Albert Mueller. Teppiche und Stoffe sind auf den
Klang rot-orange-gelb gestimmt. . camille graeser.
 
Annotationen