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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 44.1933

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Kopf, Hermann: Anregungen zur Reorganisation der staatlichen Kunst- und Kunstgewerbeschulen
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https://doi.org/10.11588/diglit.10797#0407
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INNEN-DEKORATION

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praktischen Kenntnisse ist es erst möglich, verwend-
bare Entwürfe herzustellen. Es ist widersinnig, wie es
heute in den Übungsstunden der Kunstschulen mei-
stens geschieht, daß Schüler Entwürfe irgendwelcher
Art bearbeiten, bei denen lediglich auf künstlerische
Formgebung oder Farbwirkungen Wert gelegt wird.
Denn die Kunstschule hat nicht die Aufgabe, die
Schüler Entwürfe ausarbeiten zu lassen, die mehr
oder weniger kunstvolle Bildwerke darstellen, son-
dern von Anfang an den Entwürfen einen ganz be-
stimmten Verwendungszweck zugrunde zu legen.
Dieser Weg führt zum Ziel und macht den Entwurf
verwendbar und damit verkäuflich, aber niemals
der umgekehrte.

Dies bedingt nun für den Kunstschüler eine prak-
tische Lehr- und Ausbildungszeit in denjenigen Fa-
briken bzw. Betrieben, die später für ihn als haupt-
sächlichste Abnehmer für seine Entwürfe in Be-
tracht kommen. Hierher gehören z. B. die Tapeten-,
Stoffdruck-, Metallindustrien, die Webereien, Por-
zellanfabriken usw. Die Zeit ihrer praktischen Arbeit
müßten die Studierenden während der Semesterferien
vorschriftsmäßig absolvieren. Nach der allgemeinen
Vorbildung, welche sich der Schüler während des Stu-
diums in den ersten vier Semestern erworben hat,
würden die weiteren vier Semester einer speziellen
Ausbildung dienen. Diese erhält der Kunstschüler am
besten auf unseren Fachschulen, wie z. B. den Web-
schulen in Krefeld, Chemnitz; oder entsprechend auf
den keramischen Fachschulen, z. B. in Selb, deren
Heranziehung zur Mitarbeit an der Spezialausbildung
der Kunstschüler eine unbedingte Notwendigkeit ist;
denn nur hierdurch erwirbt sich der Schüler diejeni-
gen theoretischen und praktischen Kenntnisse,
welche die Umsetzung des Entwurfes bis zur fabri-
katorischen Herstellung erforderlich macht. Um-
setzung heißt die Anfertigung von Werkzeichnungen,
die Ausarbeitung einer Patrone eines Webmusters,
die Berücksichtigung der Formveränderung eines
Porzellangegenstandes im Brand usw. Diese Lehr-
fächer findet man nur in den Fachschulen, welche die
Aufgabe haben, die für die Industrie notwendigen
technischen Kräfte auszubilden. Darum die von mir
seit langem vorgeschlagene Verkettung von Kunst-
und Fachschulen. Die Lehrkräfte der Fachschulen,
die den Unterricht im Entwerfen erteilen, müssen
diese Vorbildung unbedingt genossen haben.

Eine empfindliche Lücke des Lehrplans bildet auch
die oberflächliche Ausbildung der Studierenden in der
Stilkunde und deren kunstgeschichtlichen Entwick-
lung. Daraus resultiert die einseitige künstlerische
Ausbildung; die Schüler beherrschen nur die eine
Kunstrichtung, welche ihnen als vorbildlich von
ihrem Lehrmeister gezeigt wurde, und diese eine
Richtung gibt ihren späteren Arbeiten in der Form-
gestaltung einen so gleichartigen Charakter, daß man
an den Arbeiten eines jeden Kunstschülers sofort er-
kennt, unter welcher Meisterhand er erzogen worden

ist. Die Ideenarmut unserer heutigen Kunstrichtung
und ihrer Vorbilder, das Fehlen jeglicher tieferen An-
regungen aus jenem gründlichen Studium der alten
Stile, muß den Schüler während der vierjährigen Aus-
bildungszeit - dem Zeitabschnitt seiner größten Auf-
nahmefähigkeit - zur Einseitigkeit führen. Man hält
es an den Kunstschulen für schädlich, die Eigenart
der jungen Studierenden und ihre persönliche Kunst-
auffassung in irgendeiner Weise zu beeinflussen.
Dieser Standpunkt ist aber durchaus irrig. Ganz
abgesehen davon, daß selbst der talentvollste Schüler
im Alter von 18 bis 22 Jahren noch keine aus-
gesprochene eigene Formgebung besitzt, kann ein
Studium der Stile ihn nur anregen zu Vergleichen und
Wertschätzungen und schließlich ihn vielleicht zu der
Erkenntnis bringen, daß unsere derzeitige Kunstrich-
tung gewiß noch vieles aus jenen vergangenen großen
Epochen entnehmen und lernen kann.

Die Relation eines Erzeugnisses zu seiner Käufer-
schaft stellt ein besonderes Lehrfach dar, vielleicht
das wichtigste und interessanteste von allem. Der
Wert eines Entwurfs liegt in der Erfüllung einer fest-
gelegten Formel. Ein künstlerisch vollwertiger Ent-
wurf, dessen Ausführung mit sparsamsten techni-
schen Mitteln erreicht wird, und der in seiner Form-
gestaltung der Zweckmäßigkeit und der Geschmacks-
richtung seiner Käuferschaft entspricht, bedeutet ei-
nen sicheren Erfolg. Der Fabrikant kehrt diese For-
mel um: Größte Verkäuflichkeit des Erzeugnisses
gleich billigste Herstellung plus künstlerische Ausge-
staltung. Für ihn ist die künstlerische Form nur eine
dritte, gewiß auch wichtige Bedingung, auf die er aber
sofort verzichtet, wenn die beiden anderen Gleichungs-
komponenten nicht voll erfüllt sind. Nimmt man an,
daß der künstlerische Entwurf den beiden Vorbe-
dingungen gerecht wird, so ist die Formgestaltung
des Erzeugnisses wiederum abhängig von einer ganz
ausgesprochenen Geschmacksrichtung der betreffen-
den Käuferschicht. Diese erfordert eine ganz be-
stimmte künstlerische Formengestaltung, die ihrer-
seits wiederum an die Qualität und den Handelspreis
des Erzeugnisses gebunden ist. Dadurch wird der
Künstler gezwungen, z. B. eine für die große Masse
des Volkes gedachte billige Drucktischdecke in einer
leichtverständlich ansprechenden Musterart zu hal-
ten, während z. B. ein teurer Brokatstoff eine Käufer-
klasse mit gepflegter Geschmacksbildung voraussetzt
und dadurch eine viel reichere und künstlerisch wert-
vollere Ausgestaltung des Musters zuläßt.

Aus dem Vorangegangenen ergibt sich die unbe-
dingte Notwendigkeit einer Umgestaltung der Lehr-
methode an den staatlichen Kunstschulen in der
Form einer engen Verkettung von Fachschule und
Kunstschule.

Wenn dies in Verwirklichung geht, wird die Nach-
frage nach brauchbaren kunstgewerblichen Kräften
befriedigt. Und vor allem werden die jungen Künst-
ler in der deutschen Industrie untergebracht. —
 
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