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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 48.1937

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Wieszner, Georg Gustav: Verzweiflungskampf mit kleinen Dingen
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https://doi.org/10.11588/diglit.10944#0075
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INNEN-DEKORATION

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VERZWEIFLUNGSKAMPF MIT KLEINEN DINGEN

Nicht nur der faustische Drang, ohne Gepäck alles
hinter sich zu lassen auf dem Wege nach neuen
Zielen, auch der museale Wahn beherrscht uns.

Die Schubläden sind groß und die Papierkörbe sooo
klein. Briefe, Theaterzettel, Ansichtskarten häufen
sich - was ist nicht alles Kunst und Autogramm! -
und aus Interesse und lieber Erinnerung wächst ein
Archiv heran. Lauter verschwindend kleine Zettel-
chen und Bildchen und Schriftzeilchen, jedes für sich
anspruchslos, keinerlei Raum beanspruchend und zu-
sammen dann doch ein Kasten voll. Man hebt sich
ein Kinoprogramm auf und hat bald ein Bilderbuch
voll toller Fotomontagen. Mit Raffinement ausgestat-
tete Kataloge sendet man uns massenweise ins Haus,
und wer Sinn hat für die Kunst des Alltags, für Ge-
brauchsgraphik (schon haben wir das museale Wort,
die Etikette unserer Sammlung), der hat schnell eine
Sammlung prächtiger Reklamesendungen beisam-
men, gegliedert nach sachlichen, künstlerischen, so-
ziologischen und wer weiß welchen logischen Ge-
sichtspunkten. Fragt sich's nur, ob's eine Sammlung
ist oder ein Haufe bleibt, ob diese »Sammlung« hilft,
uns zu sammeln, ob sie uns bestenfalls vielleicht auch
nur zerstreut oder ob sie uns gar »zerreißt«, weil wir
die Dinge nicht zerrissen haben, als sie noch unge-
fährlich waren, noch kein Objekt zum Aufheben.

Tausende von Maschinen sind unentwegt tätig,
unsere Wohnungen zu füllen. Nicht bloß über un-
nötige Möbel muß man schreiben, die Zeit der Ver-
tikos ist ja vorbei (so vorbei, daß ich eben im Duden
nachsehen mußte, wie man das schreibt; wie man Kar-

1937. II. 3

tei und Archiv schreibt, ist mir geläufig) - man muß
einmal den Mut aufbringen, gegen die weniger sicht-
baren Dinge, gegen diese Nichtse, die sich zu Haufen
ballen und lästig werden, zu kämpfen, gegen das
Lumpenproletariat der Wohnung, das Barrikaden baut
auf Schreibtischen und das langsam alle Schubladen
beschlagnahmt, das in der Wohnung das ist, was im
Haus der Schwamm, unausrottbar, wenn es sich ein-
genistet hat, fruchtbar wie eine Blattlaus, ausdeh-
nungsfähig wie das Deutsche Museum in München.

Diese Dinge machen in Mappen, Kästen und
Schränken wirklich jenem gewaltigen Bau auf der
Isarinsel Konkurrenz, der zur Grenzenlosigkeit ver-
dammt ist (man hat ihn vielleicht auf eine Insel ge-
stellt, um die Stadt vor Einbeziehung zu retten), weil
kein Ding existiert, das nicht hineingehört, vom Ur-
menschenschädel bis zum Gebrauchsmusterschutz
Nummer L/q 10765473. Nicht auszudenken: Ganz
Deutschland ein Deutsches Museum, und jede Woh-
nung eine noch ungeordnete Unterabteilung! Haben
Sie, lieber Leser, heute im Februar die Weihnachts-
kataloge und Neujahrsprospekte schon geordnet?

Man müßte sich selbst auf ein Gesetz vereidigen:
Alle Vierteljahre einmal an einem Regensonntag ist
alles durchzusehen und wegzuwerfen, was an Inter-
esse verloren hat. Briefe sind zu vernichten, die gegen-
standslos geworden sind, Theaterzettel zu verbrennen,
an deren Aufführung man sich nicht mehr erinnert.
Aus illustrierten Zeitungen und Magazinen sind die
Aufsätze und Bilder auszuschneiden, die man »noch«
aufheben will, das andere über den Papierkorb -
 
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