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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 48.1937

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Michel, Wilhelm: Abend im Heim
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https://doi.org/10.11588/diglit.10944#0186
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174 INNEN-DEKOR AT ION

»ecke eines damenwohnzimmers« ausführung einrichtungshaus hess & rom-berlin. - foto: leitner
bücherbord: kiefernholz, liegestatt: rohleinen, tisch mit lederplatte, lampe: bambus, eisen und bast

ABEND IM HEIM

er einmal einen gemütlichen Abend verlebte in
einem friedlichen Heim, der weiß, daß die Ge-
mütlichkeit der Einzelnen weniger aus ihrem ge-
gründeten Herzen kam als aus dem Sofa an der Wand
und dem behaglichen Lampenschein darüber. Das
ruhige Gespräch und die Art, wie alle einander ver-
standen und sich begegneten, wäre nicht möglich ge-
wesen ohne die versöhnliche Haltung des Raumes,
der ihre Herzen barg und trug. Wohl sagen wir
später, daß plötzlich eine Stimmung aufgekommen
sei, aus der heraus dann die Gemütlichkeit entstanden
wäre, aber das heißt doch, daß unser Leben sich mit
einmal dem Leben dieses Heimes ergab, während es
ihm vorher fremd geblieben war. Das ist der Wert des
Heims, daß es die Menschen, die in ihm leben, in
sich einbezieht und sie versammelt unter seine Art,
derart, daß sie sich von seiner Haltung und von
seiner Stimmung aus begreifen und begegnen können.
Während es im geistigen Bereiche die Ideen sind,
die alle Gleichgesinnten zueinander drängen und ver-
sammeln unter ihren Himmel oder auf ihren Grund,
so ist es im Alltag das Heim, das alle seine Bewohner
nicht auf einem verborgenen Eigengrund bestehen
läßt, sondern sie in seine Stimmung, seine Behag-
lichkeit und seinen Frieden gründet. - Abend im

Heim! Das bedeutet mehr als eine äußerliche Unter-
kunft nach der Arbeit im Büro, auf der Straße oder
in der Fabrik, sondern das bedeutet ein Aufsuchen
des eigenen Menschen in sich, der bei Tage unter-
gegangen war in den Pflichten des Alltags und in
dem Strudel der Welt. Wenn wir am Abend nach
Hause kommen nach einem harten Tag, so begegnen
wir gleichsam uns selbst, denn überall schlägt uns
hier in dem vertrauten Raum das Herz entgegen, das
wir so lange vergaßen. Die warme Stille, die treue
Lampe, das Buch auf dem Tisch und der Stuhl am
Ofen, sie alle sagen dir, daß du da bist und daß sie
immer bei dir bleiben. Hier weißt du dich verstan-
den, hier verzeiht man dir, und alles, was du von
dir verloren hast, gibt man dir hier zurück. Wie
könnten wir den Zwang unsres Erwerbslebens er-
tragen, wenn nicht am Abend immer unser Heim wie
eine gute Hand auf unsrem Herzen läge und es
atmen ließe, als ob ihm nie etwas geschehen wäre?
Wie könnten wir ruhig bleiben am Tag, wenn wir
nicht wüßten, daß ein Zuhause auf uns wartet, uns
einzubetten in seine Ruhe und seine kräftige, leben-
dige Stille ? Das Heim ist der Grund, der unsren Alltag
trägt. Mit dem Leben, das es uns am Abend schenkt,
wird aller Gleichlauf ausdrucksvoll und frisch, w. m.
 
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