Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 48.1937

DOI Artikel:
Volkstum und Zivilisation
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.10944#0399
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
VOLKSTUM UND ZIVILISATION

Die Wohnform ist ein Gebiet menschlicher Ge-
staltung, auf dem verschwistert zwei bestim-
mende Kräfte wirksam werden: Volkstum und Zivili-
sation. Was wir Zivilisation nennen, bestimmt den
Menschen als »Zeitgenossen«, d. h. als Teilnehmer
an einem bestimmten Lebensstil, der in der Zeit des
Flugzeugs, des elektrischen Kontaktes, des für alle
Volksgenossen selbstverständlichen Badezimmers ein
anderer ist als etwa in einer Zeit, in der Könige sich
morgens nicht zu waschen, sondern höchstens zu
pudern pflegten. Das Volkstum bestimmt den Men-
schen nach Dauerelementen seines Wesens und lenkt
daher auch in der Wohnform die Gestaltung im Sinne
des Dauernden, Herkömmlichen und Artgemäßen.

Zwischen beiden Zugehörigkeiten des Menschen -
hier zu einem bestimmten Volkstum, dort zu einer
bestimmten Zeit und Zivilisation - besteht an sich
kein ausschließender Gegensatz. Daß unsre Wohn-
form zugleich echt deutsch und zeitgemäß sein könne,
wird grundsätzlich niemand bestreiten. Aber die ge-
schichtlichen Tatsachen zeigen, daß trotzdem Strudel-
bildungen zwischen beiden Bestimmungsgründen
möglich sind. In den 70er Jahren knüpfte unsre
Wohnraumgestaltung an die Formen der deutschen
Renaissance an, und das stand in erklärtem Zusam-
menhang mit dem nach dem Deutsch-Französischen
Kriege neu belebten Nationalgefühl. Frankreich
hatte seine Königsstile, England seine englische
Gotik; Deutschland griff auf das »Altdeutsche«
zurück. Daß man darunter die Formen des 16. Jahr-
hunderts verstand, hatte seinen guten Grund darin,
daß dies Formen aus einer Zeit mächtiger Entfaltung
deutschen Bürgertums und Städtewesens, deutscher
Kunst und Bildung waren.

Es ist unerläßlich für das Verständnis aller späteren
Entwicklung, sich vor Augen zu halten, wie dieser
Versuch, über die deutsche Renaissance zu einer
national geprägten Wohnform zu kommen, der Ent-
artung verfiel. Man nahm die altdeutschen Formen
dinglich, buchstäblich und trug sie als historisches
»Kostüm«. Man ahmte sie billig nach und verdarb
sie, man brachte trotz des nationalen Ausgangs-
punktes die altdeutsche Form in keinerlei echte Ver-
bindung mit dem Volksganzen und der Gegenwart,
man machte sie zu einer leeren, einfältigen Thea-
terei. Selbst die Bewunderung für das Echte, Gedie-
gene alter Bauernmöbel wußte man nur so auszu-
werten, daß man »Bauernstuben« pfuschte, die ebenso
verlogen waren wie die Renaissance und das Rokoko,
das sich in den Räumen nebenan breitmachte.

Es läßt sich nicht leugnen, daß die Rettung kam
mit der neuen Losung: Füllung der Wohnform mit
Zeit und zeitgemäßer Lebensgestalt! Krieg der Lüge,
Krieg dem Kostüm, Bekenntnis zur Gegenwart,
Wahrhaftigkeit im Sinne eines neuen Kulturbegriffs,

!937. XII. 1

der alle Teile der Lebensgestaltung als eine Einheit
verstand und nicht dulden konnte, daß sich die Woh-
nung als eine künstliche Kulissenwelt dieser Einheit
entzog. Es wird von hier aus verständlich - und
zwar als eine Notwendigkeit! - daß die Entwicklung
der neuen Bau- und Gewerbeform, wie wir sie seit
der Mitte der 90er Jahre erlebten, zunächst in dem
Sinne verlief: mutige Aufnahme der Beziehung zur
Zeit, zu ihrer Technik, zu ihrem nüchternen Zweck-
denken, entschlossenes Bekenntnis zur gediegenen
Ausführung. Echtheit der Arbeit und der Werk-
stoffe, Übereinstimmung der Geräteformen mit dem
Geist der Gegenwart, Zielrichtung auf Brauchbar-
keit, Ausdehnung der guten Wohnform auf sämtliche
Volksschichten und Wohnbedürfnisse - das sind
uns in der Zucht dieser Jahrzehnte selbstverständ-
liche Verpflichtungen geworden.

Unzweifelhaft aber haben sich im Laufe dieser
Entwicklung, die zum Schlüsse eindeutig von ge-
schichtsfremden Verstandeskräften geführt war, die
Beziehungen der Wohnform zu Volkstum und Her-
kommen, zu der Gemüts- und Seelenregion gefähr-
lich verdünnt. Weithin kam in dieser Wohnform am
Ende nur der Mensch dieser bestimmten Zivilisation
zum Wort, der gleichsam alle geschichtlichen
Brücken hinter sich abgebrochen hatte. Eine neue
Anknüpfung an die Kräfte der Seinstiefe, an die
Werte der Art ist für unsre Formfindung notwendig
geworden. Dies ist der Punkt, an dem wir gegen-
wärtig in Deutschland stehen und von dem aus wir
neue Bestimmungsgründe in die Gestaltung unsrer
Wohnform einfließen sehen. Was hier geschieht, ist
etwas Großes. Wir nehmen heute die niemals früher
in dieser Weise gesehene Arbeit in Angriff, auf neuer
Grundlage eine echte Verankerung des zivilisatorisch
Guten und Notwendigen im geschichtlich gewach-
senen Volkskörper herbeizuführen. Indem wir heute
deutsche Eigenart in der Wohnungsgestaltung zu
betonen beginnen, gehen wir nicht aus der Zivili-
sation unsrer Zeit heraus, sondern wir bekunden den
Willen, als Deutsche, mit unsrem Wesen und mit
unsrer Geschichte in diese Zivilisation einzutreten.
Durch deutsche Landschaft fahren in gewaltigen
Linien und Kurven die Autobahnen. In deutschen
Städten erheben sich die Bauten der Bewegung, starke,
frische Körper, in denen der moderne Lebensstil mit
selbstverständlicher Gebärde wohnt. Bäder, Schiffe,
Gasthöfe der KdF. sind Gebilde dieser Zeit, Träger
der einen modernen Wohn- und Körperkultur. Unsre
ganze Lebensgestaltung ruft in die Welt: Als Deut-
sche wollen wir Menschen dieser Zeit und Zivili-
sation sein! Wir werden ein Beispiel geben, daß mo-
derne Zivilisation das völkische Wesen nicht zu ver-
leugnen hat, sondern daß sie im Gegenteil nur da
echt verwirklicht ist, wo sie es zum Fundament hat.

0
 
Annotationen