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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 49.1938

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Michel, Wilhelm: Die Quelle des Schöpferischen
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https://doi.org/10.11588/diglit.10945#0227
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INNEN-DEKO RATION

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»GESCHIRRSCHRANK IM SPEISEZIMMER« ROSENFARBENER CANDOOL1A-MARMOR, VERGOLDETE BRONZE UND SPIEGELGLAS

DIE QUELLE DES SCHÖPFERISCHEN

Nietzsche kehrt in der Unzeitgemäßen Betrach-
tung »Vom Nutzen und Nachteil der Historie
für das Leben« zum erstenmal scharf den Gegensatz
heraus, der für unseren gesamten modernen Kultur-
begriff grundlegend geworden ist: den Gegensatz
zwischen unmittelbarem, geschöpflichem Sein und
dem historischen und historisierenden Bewußt-
sein. Aufgewachsen in einer Bildungswelt, die das
Wissen von den Dingen unbedingt obenanstellte
und dabei dem Wahn verfiel, wir besäßen das, von
dem wir nur wissen, hat er die Kategorie des Seins
neu entdeckt und hielt der Mitzeit entgegen: Nichts
kann der wissen, der nichts ist! Und die Verpflich-
tung vom Selbst-Sein ist die erste, der wir zu ent-
sprechen haben. Es ist nicht ohne weiteres anzu-
nehmen, daß die Erneuerer unsrer Raumgestaltung,
die in den 90er Jahren ihr umwälzendes Tun began-
nen, Nietzsches Mahnungen im Bewußtsein gehabt
haben. Aber faktisch haben sie diese Mahnungen zum

1938. VI. 3

erstenmal seit Menschenaltern in die Tat umgesetzt.
»Gebt mir Leben«, rief Nietzsche aus, »und ich will
euch eine Kultur daraus schaffen!« Er meinte damit:
nur eine Menschheit, die lebendig ist und sich zu
ihrem bestimmten Sein bekennt, vermag eine Kultur
zu erzeugen, indem sie das Gesetz, die Linie ihres
Lebens gleichsinnig in allen Gestaltungen ausprägt.
Auf diesem Wege sind wir zu dem gelangt, was wir
heute fest in den Händen haben als die Kultur des
20. Jahrhunderts, diese weite, große Fassung unsrer
vollen Lebenswirklichkeit, die sich rückhaltlos zur
Gegenwart bekennt, aber auch - was durchaus
wichtig ist - die europäische Vergangenheit nicht
verleugnet. Wir möchten dies hier besonders nach
der Seite der damit errungenen Freiheit unter-
streichen, jener stolzen Freiheit, die uns in einem
ganz neuen Sinne die Verfügungsgewalt über unsre
Welt gegeben hat. Noch für einen Hölderlin, ja selbst
für einen Nietzsche stand die Wahl so: entweder unter
 
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