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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 49.1938

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Michel, Wilhelm: Sommerwochen in einem alten Bauernhaus von Wilhelm Michel
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https://doi.org/10.11588/diglit.10945#0329
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INNEN-DEKO RATION

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getupfte Vorhängchen an den Fenstern und Türen
zum rundumlaufenden alemannischen Balkon - da
war mit leiser achtsamer Hand das Bäuerliche wei-
tergeleitet zu einem Wohnstil, der einen deutschen
Menschen ansprechen mußte und ihn nichts an Be-
hagen vermissen ließ. In den größeren Stuben wurden
die unteren Kanten der mächtigen Deckbalken mit
einem schmalen Zickzack-Ornament bemalt, und
flugs hatte man beim Drüberhinblicken - da die
Balken nur wenig über Augenhöhe lagen - das Bild
einer reichgezierten Zimmerdecke. Alle Einzelheiten
echt und gut, alle Zierformen aus edlem Urväter-
quell frisch hergeleitet, und immer wieder das blanke
Holz erscheinend zwischen bemalten und stoffver-
kleideten Flächen, wie ein Mahnen an Grundstoff
und Ausgangspunkt, alles behütet von dem weitaus-
ladenden Schindeldach, das hinten fast bis zum an-
steigenden Berg hinabgriff - da hatte neues und
altes Menschentum, im gleichen Blutstrom Ver-
bunden, eine Begegnung von wunderbarer, lächeln-
der Zwanglosigkeit. Was war im ganzen Hause mit
der Farbe alles gewirkt, gestiftet, geschaffen! Der
Städter, der seine Putzwand streicht, statt sie zu
tapezieren, weicht einer Notwendigkeit, einem Vor-

teil aus. Aber wo alle Wände aus Bohlen bestehen,
wo Türen, Bettrahmen, Deck- und Auflagebalken
sich als Sonderelemente gegeneinander absetzen, da
haben Pinsel und Farbe ein ideales Feld zur Be-
tätigung, da können sie das Raumbild gliedern und
beleben, Auge und Gefühl mit zusätzlicher Raum-
und Wohnfreude beschenken. Und noch eine
Tugend hat das »weitergedachte« alte Bauernhaus:
es nimmt allen Hausrat, stamme er aus älterer oder
neuerer Zeit, sei er bürgerlicher oder ländlicher Her-
kunft, liebevoll und gelassen auf, wofern er nur et-
was Echtes, Richtiges und Menschliches in sich hat.
Er gibt einem verglasten schlichten Bücherschrank,
der ehrlich in gutem Stollen- und Rahmenbau ge-
zimmert ist, ebenso gerne Unterkunft wie den derben
spreizbeinigen Schemeln, auf deren Rücklehnen-
scheibe das Sonnenrad und eine Sternblume einge-
schnitzt sind, oder dem bemalten Bauernschrank,
oder dem kurvenreichen »Sekretär« aus Nußbaum-
holz, der die Linie eines bäuerlichen Spätbarock fest-
gehalten hat. Wahrlich, Mond und Sonne, der Wind
talaufwärts und die Schattenkühle oben vom Tannen-
wald haben Freude an der alten Nagelschmiede, das
habe ich in den Wochen, die ich da lebte, gespürt. -

1938. IX. 3
 
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