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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 49.1938

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Schönheit als "Wert"
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https://doi.org/10.11588/diglit.10945#0337
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INN EN-DE KORATI ON

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Philosophie, als Intellektualismus, als trockener
Rechengeist, als Geist der Lebensverleugnung auf der
Linie Schopenhauers, Strindbergs, Baudelaires. Da-
mit ging gleichzeitig eine Emanzipation des Wertes
Schönheit einher: auch er trat aus dem lebensvollen
Zusammenhang des verwirklichten Menschentums
heraus und trat in jenes Abseits, in welchem Ästheten-
tum und Ästhetizismus aufwuchsen.

Diese falsche Ausklammerung ist die Ursache ge-
wesen, weshalb das Wort und der Wert »Schönheit«
— namentlich soweit das Heim und seine Gestaltung
damit verbunden waren - in Verruf gerieten. Ge-
waltsam wurde dem Schönen gegenüber all das
geltend gemacht, was im erfüllten Menschentum
still und selbstverständlich dem Schönen sich gesellt:
Zweck, Werkstoff, echtes Verfahren. Dumpf wirkte
in der Betonung all dieser Einzelheiten der Gedanke,
daß die falsche Emanzipation des Wertes Schönheit
aufgehoben werden müsse; und es war tragisch, daß
dies in den Kampfzeiten nicht anders ausgedrückt
werden konnte als durch eine ebenso falsche Über-
betonung der genannten Elemente, welche uns zum
Schlüsse bekanntlich in die Sackgasse einer wahren

Kunst- und Formfeindschaft geführt hat. Ohne uns
zur Hegeischen Dialektik der Geschichte weltan-
schaulich bekennen zu wollen: hier ist in einem
klar umgrenzten Sonderfall die Bewegung Thesis-
Antithesis-Synthesis deutlich gegeben. Wie denken
wir noch an jenen Tag vor 12 Jahren, da in einem
Berliner Theater der Sprecher der engagierten Spie-
lertruppe an die Rampe trat und ins Haus hineinrief:
»Was wir wollen, ist nicht Kunst, sondern Leben,
nicht Schönheit, sondern Wirklichkeit!« Er glaubte,
eine zerschmetternde Wahrheit zu sagen. Aber was
er aussprach, war die Wahrheit von der Zerschmette-
rung der damaligen Menschenform, die dermaßen
»auseinandergeraten« war, daß sie den Ort der Kunst
wie den Ort des Lebens verloren hatte, daß ihr das
gute Gewissen zu wichtigen menschlichen Interessen
und sogar zur menschlichen Natur abhanden ge-
kommen war. Wo die Menschengestalt zerfällt, da
zersetzen sich unfehlbar die Werte; einer nach dem
andern wird fragwürdig. Umgekehrt: wo Menschen-
tum sich durchgängig verwirklicht, wo es gesund
wird und sich zum ganzen Umfang seines Seins zu
bekennen wagt - da steigen aus der tiefsten Ver-
 
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