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Internationale
^animlergßifunfl
Zenfralblaff für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde.
Herausgeber: Harbert Ehrlich und J. Hans Prosl.

1. Jahrgang.

Wien, 15. Juni 1909.

Hummer 10.

im Alusik-

Wien eine
Er hatte
Sammlung

Von Balduin
^ir sind alle so. Wenn mir auf der Reise sind,
nehmen wir alle merk- und Sehenswürdigkeiten
mit großer Gewissenhaftigkeit durch, laufen alle
Galerien, JTluseen und Kirchen ab, machen pflicht-
eifrig unsere Uotizen und Eintragungen ins Reise-
tagebuch; um das aber, was wir zu Hause
haben, um das Gute, das so nahe liegt, kümmern
wir uns nicht. Jn Wien ist es ganz bestimmt
Lso. Unzählige Heute, natürlich aus den ge-
bildetsten Ständen, wissen viel besser Bescheid
1—''-i um die Kunstschäße Venedigs als um die uon
Wien. Und man kann doch ruhig behaupten, daß unsere
kaiserliche Galerie noch etwas ganz anderes ist, als die
Galerie der Accademia in Venedig. Ruf die gute Idee,
der heimischen Sammlung dasselbe Interesse entgegen zu
bringen, wie der venezianischen, verfallen aber die wenigsten,
fragt man die Heute, ob sie denn eigentlich auch die
Wiener Galerie kennen, so erhält man die Antwort: ach
ja, natürlich! Allerdings sei’s schon ein bischen lange her,
aber gesehen hätten sie alles. Jn Venedig haben sie es
schon so weit gebracht, daß sie wenigstens Gian und
Gentile Bellini auseinander halten können, für die heimi-
schen Kunstschäße begnügen sie sich mit dem allgemeinen
und unklaren Bewußtsein „alles“ gesehen zu haben.
Da habe ich auch nur das Strahlendste und Hervor-
stechendste — die Galerie — erwähnt, es gibt aber noch
sehr, sehr viel, was man auch gesehen haben sollte, aber
nicht gesehen hat, wohl nur, weil es so bequem und so
nahe zur Hand liegt. Deshalb werde ich nicht müde,
oielen meiner Wiener freunde immer und immer wieder
zu empfehlen, ihre Koffer zu packen, sich einen fiaker
holen zu lassen und nach dem nächsten standesgemäßen
Hotel in Wien selbst zu fahren, um von dort aus gewisser-
maßen als fremde die Sehenswürdigkeiten Wiens kennen
zu lernen. Als Einheimische und im Kreislauf des Alltags-
lebens kämen sie sonst ja doch nie dazu. Im übrigen
will ich mich gar nicht besser machen; ich fühle mich ja
mitschuldig. Da erzählt mir neulich ein Doktor juris im
Kaffeehause eine ITlenge Interessantes von unserem lllusik-
IRuseum. musik-llluseum? Ich schämte mich in die Haut
hinein. Hatte in meinem Heben nichts davon gehört. Ja,
wenn das in Venedig stünde, dann sollten sie ’mal sehen,
was ich da mitzureden gewußt hätte! Wahrscheinlich hätte
ich da auch schon etwas Tiefsinniges darüber geschrieben
gehabt. Übrigens fand ich in meiner tiefen Beschämung

musikalische Reliquien.
Groller, Wien.
einen kräftigen Trost in dem Unglück eines namhaften
Alusikkritikers, das ihm erst kürzlich passiert ist. Es gab
da ein historisches Konzert, bei dem vorwiegend alte,
heute nicht mehr gebräuchliche Instrumente zur Verwendung
gelangten. Der Kritiker besprach die Sache mit einem
beträchtlichen Aufwand tiefer Gelehrsamkeit und trat zum
Schluß mit großer Wärme dafür ein, daß in
Sammlung solcher Instrumente anzulegen sei.
also keine Kenntnis davon, daß eine solche
schon längst vorhanden war.
Am nächsten Vormittag war ich prompt
ITluseum. ITlan hat einige mühe, es zu finden; es blüht
recht im Verborgenen. Die Sache ist so: Die Gesellschaft
der JTlusikfreunde in Wien, kurz der ITtusikoerein genannt,
hat sich vor einem menschenalter, nachdem er schon durch
eine jahrzehntelange, vorherige ersprießliche Tätigkeit ent-
sprechend zu Kräften gekommen war, oon ITleister Theo-
philos Hansen einen neuen Palast, das ITlusikvereins-
gebäude, errichten lassen. Dort ist der größte Konzertsaal
Wiens, dort sind das Konservatorium und die Schauspiel-
schule untergebracht, und auch, ein wenig versteckt, die
Bibliothek, das Archiv und das ITluseum der Gesellschaft.
Ich bin kein JTlusikkritiker, ein musikgelehrter schon
gar nicht, mein Verhältnis zur ITlusik, der göttlichsten der
Künste, ist überhaupt nicht der Rede wert, obschon mir
in meiner Jugend keine der ausgesuchten Qualen des Klavier-
unterrichts vorenthalten worden ist, obschon ich sogar —
aus freien Stücken, ich bitte! — das flöteblasen erlernt
habe, und obschon endlich auch hinsichtlich des Quartett-
gesanges meine Vergangenheit keine ganz unbemakelte ist.
Ich fühlte mich also troß freundlicher, sachverständiger
führung nicht recht sicher in dem menschenleeren ITluseum.
Ich kam mir ein bißchen verloren vor und hatte die unklare
Empfindung, daß nun eigentlich ein Gescheiterer da her-
gehörte. lUachen Sie sich nichts daraus, Herr Redakteur.
Wenn Ihnen da ein Sachverständiger eingehend Bericht
erstatten sollte über die Schäße des llluseums, so könnte
er es meiner Schäßung nach nicht unter drei dicken Bänden
tun, denen dann wahrscheinlich ein Supplementband mit
Anmerkungen folgen würde. Ich weiß nicht, ob Ihr redak-
tionelles Herz sich danach sehnt, ich weiß nur, daß ich
nicht der richtige mann dafür wäre. Bei all meiner Un-
zulänglichkeit aber glaube ich ein näßliches Werk zu tun,
wenn ich überhaupt Ihren Hesern das Vorhandensein dieser
Schäße verrate. Wir wollen das feld nicht abmähen, sondern
 
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