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Seife 210.

Internationale Sammler-Zeitung.

Hummer 14.

Epoche eingeschlossen sein, ein Helm oder eine Klinge
oermag uns oom Heroismus einer Ration Bericht zu geben.
Rus den Uranfängen des Kulturlebens ist uns nichts anderes
erhalten geblieben, als Bruchstücke oon primitioen und in
ihrer form roh gehaltenen Dingen, der Torso eines Kruges,
Steinhammers, oder einer Tafel mit rätselhafter Schrift,
und sie reichen hin, uns die fernste Vergangenheit der
ITlenschheit zu lehren.
Zu den feinsten und raffiniertesten Genießern gehört
der Liebhaber des Antiquarischen und das Sammeln im
hohem Sinne ist eine der großen Leidenschaften, die
schöpferischen Fähigkeiten entspringen. Welches Glück
fassen in sich die stillen Stunden, da der Sammler, sich
ganz und seiner Reigung überlassen, die wie in einem
Abenteuer erworbenen und dem IHitbewerber abgerungenen
Schäle nor sich ausbreitet und in ihre Schönheit, ihre
Form oder in ihre oerlorene Bedeutung sich uersenkf.
Zu all dem gehört Erziehung, gehört eine oorhandene
allgemeine Kultur. Streben Sie mit Ihrem Organ darnach,
daß diese noch so seltene ideale Erscheinung des Sammlers
sich oermehre. Es gibt auf dem Gebiete dieser Liebhaberei
noch zu uiel Dilettantismus, zu oiel Prozentual und zu
wenig Berufene.
Dr. ntoritj Recker (Wien).
Gerne folge ich Ihrer freundlichen Einladung, mich
über die Sammelliebhaberei zu äußern, da Sie damit ein
mir sehr sympathisches Thema berühren.
Der moderne Großstadtmensch, der nicht begütert ist,
gerät in mancher Beziehung in einen Zustand, der ihn weit
hinter die Zeiten der Zivilisation zurückstellt. Diese beginnt
bekanntlich damit, dafq sich mit der Pietät für die Ahqen
der Sinn für Geschichte zu regen beginnt. Der Romade
hat diesen Sinn noch nicht. Alit dem Wechsel des Stand-
ortes «erlischt auch die Erinnerung an die Eltern und ihr
Schaffen. Erst der ansäßige Ackerbauer hegt diese Er-
innerung in Liebe, pflegt ein Familiengefühl, schafft eine
Stammesfradition, ein Rationalbewußtsein, und damit erst
bereitet er die echte Humanität oor. Wir armen Groß-
städter, die in Rlietwohnungen geboren werden, leben und
sterben, haben die Flüchtigkeit des Standortes mit den
Romaden gemein, uns fällt es sogar schwer, eine Familien-
tradition festzuhalten und auszubilden, denn die hängt
auch an all den tausend Kleinigkeiten des täglichen Lebens,
am Hausrat, den unsere Eltern und Voreltern schon besessen
haben, und den zu bewahren uns modernen Romaden
einfach die wirtschaftliche ITlöglichkeit fehlt. Wie glücklich
fühlen wir uns, in eine Wohnung zu treten, wo noch die
Bilder der Großeltern an den Wänden hängen, da ein
Rähtischchen, dort ein Schreibtisch aus alter Zeit steht.
Eine wohlige Wärme umfängt uns. Es ist, als wenn wir
auf festeren Boden als sonstwo träten. Filan fühlt sich
daheim, indes man in oiel leicher, aber neu eingerichteten
Wahnungen wohl zur Bewunderung, nicht aber zu solcher
Wärme gelangen kann. Aus diesem Gefühl heraus kam
ich beispielsweise dazu, mir aus einem Rachlaß einen alten,
schon recht brüchigen Schreibtisch gar nicht billig zu kaufen,
dessen Herrichtung mich zweimal sooiel gekostet hat, als
ich für ihn zahlte, denn just solch einen Schreibtisch habe
ich bei meinem Großoater gesehen. Ich siße jeßt daran
und bilde mir ein, daß ich darauf besser als anderswo
schreibe — fleißiger hat er mich gewiß gemacht. Das
alte möbel zieht mich an ... .
Ribbel oder Bilder oder auch nur Bücher zu sammeln,
ist einem Großstädter schlechtweg unmöglich, wenn schon
aus keinem anderen Grunde, so aus dem des teuren FRiet-
zinses der Wohnungen. Eine Bibliothek zu erwerben ist
eine Geldfrage, noch mehr aber sie zu erhalten ....
Ich kann mich nur schwer oon einem Buche trennen, das

ich gelesen habe, es ist mir wie ein Teil oon mir selbst
geworden, ich liebe es und traure sehr, wenn ich oon Zeit
zu Zeit meine Bücherbretter abräumen muß, um Plaß für
neu hinzugekommene Bücher zu schaffen ....
Von Briefen trenne ich mich fast gar nicht. Jeden
irgendwie, sei es wegen seines Schreibers oder wegen seines
Inhalts wertoollen Brief hebe ich auf und habe mir eigene
Kartons, alphabetisch geordnet, dafür angeschafft. Solche
Sammlung läßt sich noch immerhin ohne Geldmittel durch-
führen. Dieser Liebe uerdanke ich bei meinem Beruf
manchen edlen Gewinn. Ich hatte das Glück, mit dem
einen oder anderen heroorragenden Dichter in kürzere oder
längere Korrespondenz zu treten. Jedes Postkärtchen oon
einem Theodor Fontane oder Ferdinand oon Saar war
mir selbstoerständlich heilig, und als die Zeit dafür reif
geworden war, oeröffentlichte ich die für die Literatur
wertoollen Partien daraus und erlebte dabei manche freudige
Überraschung. Denn erst bei dieser späten Lektüre der
Briefreihen im Zusammenhang wurde mir ihr Wert ganz
klar. Es stellte sich beispielsweise bei den Briefen oon
Saar heraus, daß er so inhaltsreiche Briefe an keinen
anderen seiner Korrespondenten geschrieben hatte. Ich
besaß, ohne es zu wissen, die roertoollste Quelle zur
Kenntnis seiner literarischen Rieinungen. Sein Biograph
hat denn auch nach Kräften diese Quelle oerwertet, die
ich in meiner Sammlerfreude unbewußt geschaffen hatte.
Solche Erfahrungen mögen Andere in der gleichen Pietät
bestärken.
Einen Sammler ersten Ranges habe ich in Alexander
Posonyi kennen gelernt, der uor mehr als zehn Jahren
gestorben ist und eine Autographensammlung Don außer-
ordentlichem Werte hinterlassen hat. Er betrieb das
Sammeln schon nicht mehr als Liebhaberei, sondern als
Beruf und hatte in der Tat eine merkwürdige Begabung
dazu, werloolles ausfindig zu machen. Sein ganzes Sinnen
war eben auf die eine Richtung eingestellt. Eines Tages
geht er an einem Trödlerladen oorbei und sieht in der
Auslage den schmalen, rotledernen Rücken eines dünnen
Foliobandes. Das Ornament auf dem edlen Einband deutet
auf die Empirezeit und zieht ihn an. Er tritt in den Laden,
kauft die alte Scharteke, die für den Trödler gerade nur
den Pappendeckelwert hat, um einen Gulden, und was
enthält sie? Das Rechnungsbuch des Esterhazy’schen
Hausorchesters, das Haydn dirigierte.
Posonyi besaß in seinen Autographen fast ohne
Lücken oertrefen die ganze deutsche Literaturgeschichte oon
Klopstock bis Heine. Oft saß ich bei ihm und hielt
die Originalhandschrift uon Goethes „Ergo bibamus!“
oder die Handschrift Schopenhauers andächtig in der
Hand. Posonyi prahlte mit Skizzenblättern oon Beet
honen, mit Blättern uon Rlozarf und Schubert, mit
den handschriftlichen Korrekturen Richard Wagners zum
ersten Bürstenabzug seines „Lohengrin“; Stöße oon Lanners
Walzern in dessen eigener Handschrift lagen aufeinander usw.
Posonyis Sammlung war ein IJluseum, füllte mehrere
große Räume und war auch demgemäß sehr säuberlich
in Schränken geordnet. Ein großes Vermögen stak darin,
unfruchtbar oergraben, denn er trieb keinen Handel mit
seinen Schößen. Ursprünglich Kunsthändler, wurde er im
Lauf der Zeit Liebhaber und zwar oon einer solchen Leiden-
schaft, daß er buchstäblich Tränen oergießen konnte, wenn
man ihm zumutefe, sich oon einem wertuollen Blatte zu
trennen. Er machte weite Reisen, um neue Stücke zu
erwerben. Bei Versteigerungen trieb er mitunter gegen
sein eigenes Interesse die Preise in die Höhe, weil er den
Wert des Objektes höher als der Ausrufer und die FRit-
lizitierenden einschäßte. Und war steinunglücklich, wenn
er ein gewünschtes Autograph dennoch nicht erwerben
konnte. Der Sammeleifer war in ihm schon zur Krankheit
 
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