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durch viel für Humanität und Sittlichkeit aber nichts für
das Drama gewonnen. Eine wahre Charakteristik ist un-
möglich, wenn ein Frauenzimmer in Mannskleidern den Lieb-
haber macht, und daß Sertus ein weibisch schwankender
Mann ist macht die Sache nicht besser; das Hauptmoment,
seine Leidenschaft für Vitellia, wird zur Unnatur, welche die
dramatische Auffassung je tiefer sie greifen würde nur um
so greller hervorkehren müßte. So tritt denn fast mit Noth-
wendigkeit die Gesangskunst in den Vordergrund. Die erste
Arie des Sertus^ ?arto! (9) kann schon deshalb kein
eigentlich dramatisches Interesse erregen, weil die Situation
daß er Vitellias Aufforderung zur Rache Gehorsam ver-
spricht, wenn sie ihm nur einen Blick der Liebe schenken
wolle, sich bereits wiederholt hat, also nicht mehr den Cul-
minationSpunkt seiner leidenschaftlichen Stimmung bildet.
Die musikalische Anlage und Ausführung ist die einer großen
Bravurarie; in zwei Sätzen (Adagio und Allegro von ver-
schiedenem Takt), spricht sich die vorwiegend zärtliche und
nur durch einen Anflug von Heroismus gehobene Stimmung
ausführlich aus. Der Singstimme geht eine obligate Clari-
nette zur Seite und die im eigentlichsten Sinn concertirende
Behandlung derselben zieht an sich schon das Hauptinteresse
auf die musikalische Ausführung. Diese nimmt aus der
Situation und dem Charakter der Person soviel auf, um dem
Ausdruck des Gefühls eine bestimmtere Färbung zu geben,
ohne aber eine scharfe individuelle Charakteristik anzustreben;
sie steht den Coneertarien gleich, welche auch die gegebene
Situation nur als eine allgemeine Grundlage für die Ent-
wickelung der musikalischen Kräfte 'ansehen. Als solche be-
38) Neber die Sängerin Carolina Perini habe ich nichts Nä-
heres in Erfahrung gebracht.
durch viel für Humanität und Sittlichkeit aber nichts für
das Drama gewonnen. Eine wahre Charakteristik ist un-
möglich, wenn ein Frauenzimmer in Mannskleidern den Lieb-
haber macht, und daß Sertus ein weibisch schwankender
Mann ist macht die Sache nicht besser; das Hauptmoment,
seine Leidenschaft für Vitellia, wird zur Unnatur, welche die
dramatische Auffassung je tiefer sie greifen würde nur um
so greller hervorkehren müßte. So tritt denn fast mit Noth-
wendigkeit die Gesangskunst in den Vordergrund. Die erste
Arie des Sertus^ ?arto! (9) kann schon deshalb kein
eigentlich dramatisches Interesse erregen, weil die Situation
daß er Vitellias Aufforderung zur Rache Gehorsam ver-
spricht, wenn sie ihm nur einen Blick der Liebe schenken
wolle, sich bereits wiederholt hat, also nicht mehr den Cul-
minationSpunkt seiner leidenschaftlichen Stimmung bildet.
Die musikalische Anlage und Ausführung ist die einer großen
Bravurarie; in zwei Sätzen (Adagio und Allegro von ver-
schiedenem Takt), spricht sich die vorwiegend zärtliche und
nur durch einen Anflug von Heroismus gehobene Stimmung
ausführlich aus. Der Singstimme geht eine obligate Clari-
nette zur Seite und die im eigentlichsten Sinn concertirende
Behandlung derselben zieht an sich schon das Hauptinteresse
auf die musikalische Ausführung. Diese nimmt aus der
Situation und dem Charakter der Person soviel auf, um dem
Ausdruck des Gefühls eine bestimmtere Färbung zu geben,
ohne aber eine scharfe individuelle Charakteristik anzustreben;
sie steht den Coneertarien gleich, welche auch die gegebene
Situation nur als eine allgemeine Grundlage für die Ent-
wickelung der musikalischen Kräfte 'ansehen. Als solche be-
38) Neber die Sängerin Carolina Perini habe ich nichts Nä-
heres in Erfahrung gebracht.