Literatur. I. Der Zeichenunterricht im Jahre 1905.
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für den Beruf schöpfen und Anregungen für die eigene Lehrtätigkeit zu holen ver-
mag, lese diese verdienstvolle Arbeit.
Einen schlagenden Beweis für die großen Mängel, an denen der heutige Reform-
zeichenunterricht leidet, liefert der Streit, der aus Anlaß einer Ausstellung von
Zeichnungen einer Hamburger Mädchenschule in Nürnberg unter der Devise „Zur
Reform des Zeichenunterrichts an den Volks- und Mittelschulen" in
den Nummern 100, 102, 105, 108, 111, 115, 122, 131, 135 des Fränkischen Kuriers aus-
gefochten wurde19). Als Beleg für die gesteigerte Teilnahme, welche man in den
weitesten Kreisen der Bevölkerung dem Zeichnen zuwendet, ist dieser Streit ebenso
interessant wie als Dokument für die Art, mit welcher heutzutage für die Zeichen-
reform Propaganda gemacht wird.
Leibrock und Schmidt gruppieren in „Das freie Zeichnen, II. Ober- Lehrbücher für
stufe A. (7. und 8. Schuljahr). Körperliche Formen" (Straßburg, Schlesier Unterricht?"
und Schweickhardt. 8 Mk.) die zu zeichnenden Naturformen im Gegensätze zu den
preußischen Lehrplänen um eine kleine Zahl geometrischer Grundformen. Die
Gründe für diese Gruppierung des Lehrstoffes sind treffend ausgeführt, die all-
gemeinen Grundsätze für die unterrichtliche Behandlung eingehend und den For-
derungen der Pädagogik entsprechend, die farbige Durchführung der vorbildlich
gewählten Gebilde dagegen nicht immer zufriedenstellend. Auch Lukas und
Ullmann beschäftigen sich im II. und III. Teile ihres Werkes „Elementares
Zeichnen nach modernen Grundsätzen. Eine theoretisch-praktische
Anleitung für Schulzwecke" (Dresden, A. Müller-Fröbelhaus. II. 4,80, III.3 Mk.)
ausschließlich mit dem Zeichnen auf der Oberstufe. Durch die Nebeneinander-
stellung des Lehrstoffes für das Freiarm- und Gedächtniszeichnen, für das Pinsel-
zeichnen ohne Vorzeichnung, für die Farbentreffübungen und das freie perspek-
tivische und gebundene Zeichnen hebt sich dieses Werk vor allen andern, die im
Sinne der Reform bearbeitet sind, vorteilhaft ab. Zahlreiche Beispiele für die Ver-
wertung stilisierter Pflanzenformen, für das Zeichnen nach Schmetterlingen und
einfachen geometrischen Modellen, Geräten, Gefäßen, Früchten, Vogelfedern, Vögeln
und Vierfüßlern enthält der III. Teil von Anton Andels Werk „Der moderne
Zeichenunterricht an Volks- und Bürgerschulen. Ein Führer auf dem
Wege zur künstlerischen Erziehung der Jugend" (Wien, R. von Waldheim.
6,80 Mk.). Ob manche der vorgeschlagenen Techniken für das Schulzeichnen zu
empfehlen sind, dürfte bezweifelt werden. Eine vollausgereifte Frucht ersprießlicher
Lehrtätigkeit ist „Der moderne Zeichenunterricht. Ein Leitfaden für
den gesamten Zeichenunterricht" von A. Micholitsch (Wien, A. Pichlers
Wtw. & Sohn). Micholitsch hat durch seine Beiträge für Kimmichs „Zeichen-
kunst" und seine Programmarbeiten (1894, 1896, 1899, 1902) gezeigt, daß er für ein
derartiges Werk den durch reiche Erfahrung geschärften Blick besitzt, und von
einem ernst betriebenen Schulzeichenunterricht alle Modetorheiten und Tändeleien
fernzuhalten weiß. — Bänder, Füllungen, freie Endigungen und Flächenmuster aus
schematischen Darstellungen von Pilzen, Blättern, Äpfeln, Birnen, Pflaumen, Kirschen,
Gebäck und Geräten komponiert, weist die Vorlagensammlung von L. Hellmuth
„Neue Vorbilder für den Anfangsunterricht im Freihandzeichnen. Ein
Tribut an die neue Richtung im Zeichenunterrichte" (Nürnberg, Koch.
7 Mk.) auf. Originell in der Komposition, wohltuend in der Farbe, dürften diese
Flächenornamente mehr für gewerbliche Fortbildungsschulen geeignet sein als für
den Anfangsunterricht beim Schulzeichnen.
Die Ideen der Hamburger Reformer des Zeichenunterrichts verkörpern die
Arbeiten von J. Ehlers und J. Wiemker. Ehlers geht in dem Sonderdrucke
„Zeichenunterricht" (Leipzig, Teubner 1,20 Mk.) von der Behauptung aus, Zeichnen
ist „ein Ausdrucksmittel für die Freude an der Erscheinung der Dinge" und nähert
sich damit der Langeschen Kunsttheorie. Dieser Ausgangspunkt läßt ihn für das
Gedächtniszeichnen eine Lanze brechen, wobei er im Gegensätze zu Kuhlmann,
Diem u. a. nicht das freischaffende, phantasiemäßige Gefühlszeichnen, sondern
19) Die extreme Reformmethode fällt weiter. Die Kreide. Jg. XVII.
Nr. 8. S. 153 —457. — Ausstellung der Hamburger und Altonaer
Schülerzeichnungen in Nürnberg. Bayerische Lehrerzeitung. Jg. 1905.
Nr. 20. — Zur Zeichenausste11ung der Hamburger V o1ksschü1e r.
Ebenda. Nr. 22 und 24.
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für den Beruf schöpfen und Anregungen für die eigene Lehrtätigkeit zu holen ver-
mag, lese diese verdienstvolle Arbeit.
Einen schlagenden Beweis für die großen Mängel, an denen der heutige Reform-
zeichenunterricht leidet, liefert der Streit, der aus Anlaß einer Ausstellung von
Zeichnungen einer Hamburger Mädchenschule in Nürnberg unter der Devise „Zur
Reform des Zeichenunterrichts an den Volks- und Mittelschulen" in
den Nummern 100, 102, 105, 108, 111, 115, 122, 131, 135 des Fränkischen Kuriers aus-
gefochten wurde19). Als Beleg für die gesteigerte Teilnahme, welche man in den
weitesten Kreisen der Bevölkerung dem Zeichnen zuwendet, ist dieser Streit ebenso
interessant wie als Dokument für die Art, mit welcher heutzutage für die Zeichen-
reform Propaganda gemacht wird.
Leibrock und Schmidt gruppieren in „Das freie Zeichnen, II. Ober- Lehrbücher für
stufe A. (7. und 8. Schuljahr). Körperliche Formen" (Straßburg, Schlesier Unterricht?"
und Schweickhardt. 8 Mk.) die zu zeichnenden Naturformen im Gegensätze zu den
preußischen Lehrplänen um eine kleine Zahl geometrischer Grundformen. Die
Gründe für diese Gruppierung des Lehrstoffes sind treffend ausgeführt, die all-
gemeinen Grundsätze für die unterrichtliche Behandlung eingehend und den For-
derungen der Pädagogik entsprechend, die farbige Durchführung der vorbildlich
gewählten Gebilde dagegen nicht immer zufriedenstellend. Auch Lukas und
Ullmann beschäftigen sich im II. und III. Teile ihres Werkes „Elementares
Zeichnen nach modernen Grundsätzen. Eine theoretisch-praktische
Anleitung für Schulzwecke" (Dresden, A. Müller-Fröbelhaus. II. 4,80, III.3 Mk.)
ausschließlich mit dem Zeichnen auf der Oberstufe. Durch die Nebeneinander-
stellung des Lehrstoffes für das Freiarm- und Gedächtniszeichnen, für das Pinsel-
zeichnen ohne Vorzeichnung, für die Farbentreffübungen und das freie perspek-
tivische und gebundene Zeichnen hebt sich dieses Werk vor allen andern, die im
Sinne der Reform bearbeitet sind, vorteilhaft ab. Zahlreiche Beispiele für die Ver-
wertung stilisierter Pflanzenformen, für das Zeichnen nach Schmetterlingen und
einfachen geometrischen Modellen, Geräten, Gefäßen, Früchten, Vogelfedern, Vögeln
und Vierfüßlern enthält der III. Teil von Anton Andels Werk „Der moderne
Zeichenunterricht an Volks- und Bürgerschulen. Ein Führer auf dem
Wege zur künstlerischen Erziehung der Jugend" (Wien, R. von Waldheim.
6,80 Mk.). Ob manche der vorgeschlagenen Techniken für das Schulzeichnen zu
empfehlen sind, dürfte bezweifelt werden. Eine vollausgereifte Frucht ersprießlicher
Lehrtätigkeit ist „Der moderne Zeichenunterricht. Ein Leitfaden für
den gesamten Zeichenunterricht" von A. Micholitsch (Wien, A. Pichlers
Wtw. & Sohn). Micholitsch hat durch seine Beiträge für Kimmichs „Zeichen-
kunst" und seine Programmarbeiten (1894, 1896, 1899, 1902) gezeigt, daß er für ein
derartiges Werk den durch reiche Erfahrung geschärften Blick besitzt, und von
einem ernst betriebenen Schulzeichenunterricht alle Modetorheiten und Tändeleien
fernzuhalten weiß. — Bänder, Füllungen, freie Endigungen und Flächenmuster aus
schematischen Darstellungen von Pilzen, Blättern, Äpfeln, Birnen, Pflaumen, Kirschen,
Gebäck und Geräten komponiert, weist die Vorlagensammlung von L. Hellmuth
„Neue Vorbilder für den Anfangsunterricht im Freihandzeichnen. Ein
Tribut an die neue Richtung im Zeichenunterrichte" (Nürnberg, Koch.
7 Mk.) auf. Originell in der Komposition, wohltuend in der Farbe, dürften diese
Flächenornamente mehr für gewerbliche Fortbildungsschulen geeignet sein als für
den Anfangsunterricht beim Schulzeichnen.
Die Ideen der Hamburger Reformer des Zeichenunterrichts verkörpern die
Arbeiten von J. Ehlers und J. Wiemker. Ehlers geht in dem Sonderdrucke
„Zeichenunterricht" (Leipzig, Teubner 1,20 Mk.) von der Behauptung aus, Zeichnen
ist „ein Ausdrucksmittel für die Freude an der Erscheinung der Dinge" und nähert
sich damit der Langeschen Kunsttheorie. Dieser Ausgangspunkt läßt ihn für das
Gedächtniszeichnen eine Lanze brechen, wobei er im Gegensätze zu Kuhlmann,
Diem u. a. nicht das freischaffende, phantasiemäßige Gefühlszeichnen, sondern
19) Die extreme Reformmethode fällt weiter. Die Kreide. Jg. XVII.
Nr. 8. S. 153 —457. — Ausstellung der Hamburger und Altonaer
Schülerzeichnungen in Nürnberg. Bayerische Lehrerzeitung. Jg. 1905.
Nr. 20. — Zur Zeichenausste11ung der Hamburger V o1ksschü1e r.
Ebenda. Nr. 22 und 24.