Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 22.1901

DOI Heft:
I. Theil: Abhandlungen
DOI Artikel:
Dvořák, Max: Die Illumination des Johann von Neumarkt
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5948#0065
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Illuminatoren des Johann von Neumarkt.

59

Für uns ist Folgendes wichtig: Aus diesen localen Anfängen konnte sich der Stil der
sogenannten böhmischen Schule nicht entwickeln. Die ersten und vielleicht die schönsten
Handschriften, die diesem Stile angehören, sind in den nächstfolgenden Jahren entstanden und der
Sprung in künstlerischen und technischen Qualitäten, welcher sie von den besten Arbeiten aus der
ersten Hälfte des Jahrhunderts trennt, lässt sich durch Weiterbildung in den wenigen Jahren, die
in Betracht kommen, nicht erklären.

Fig. 11. Monatsbild (April) auf f. 6 des Breviars des Grossmeisters Leo
in der Kreuzherrenbibliothek in Prag.

III. Der neue Stil.

Die C äsur fällt mit einer neuen "Wandlung in den allgemeinen culturellen Verhältnissen Böhmens
und des gesammten östlichen Mitteleuropa zusammen. Die Regierung Karls, deren Bedeutung immer
mehr zu Tage tritt, leitet eine neue Epoche ein. Man nannte Karl den ersten modernen Herrscher. Da-
mit wird in erster Reihe auf seine Objectivität gegenüber den Gewalten, die sein Zeitalter bewegten,
hingewiesen. Es äussert sich darin der grosse Zug jenes merkwürdigen Jahrhunderts. Die Lehre Ockams
über die Unabhängigkeit der Staatsgewalt von der Kirche geht nicht mehr von einem Parteistandpunkte
aus sondern documentirt, dass das mittelalterliche Problem des Kampfes der beiden Gewalten nicht
einseitig sondern generell überwunden wurde; es ist dies der grösste Sieg, den man dem Dogmatismus
der Kirche abgerungen hat, und die Pforte zum modernen Verwaltungsstaate. Karl, durch keine histo-
rische und persönliche Tradition gebunden, versuchte, wie Robert von Anjou Neapel, Böhmen, den
Mittelpunkt seiner Hausmacht und seines Reiches, politisch und wirthschaftlich zu organisiren und zog
alle Kräfte heran, d ie zur Hebung der materiellen und geistigen Gultur des Landes dienen konnten. Das
bedeutete deshalb so viel, weil es in einer Zeit geschah, in welcher sich gegenüber der alten territo-
rialen und nationalen Cultur auf allen Gebieten ein neues, von politischen und kirchlichen Institutionen
innerlich unabhängiges Leben mächtig geltend zu machen begonnen hat. Das Neue und Bedeutsame
war nicht mehr an rein subjective und dogmatische Ideen gebunden, in der Zuwendung zu den Reali-
täten wurde überall der Weg zu einer neuen universalen Bildung gefunden, die sich nicht kirchlich
oder national sondern von bestimmten Centren aus verbreitet. Ein solches Centrum entstand unter Karl
in Prag. Es ist nicht meine Aufgabe, dies des Näheren auszuführen, und es sei mir erlaubt, auf die
Bücher von Friedjung und Burdach zu verweisen. Die Bildung des Kaisers selbst war mittelalterlich;
doch die Institutionen, die er einführte, waren modern und seine Rathgeber wählte er aus fachmän-
nisch geschulten Leuten, das bedeutet in jener Zeit: aus Leuten, die den neuen Strömungen angehörten.
Das XIV. Jahrhundert ist ein Entdeckungszeitalter auf allen Gebieten und die neuen politischen Ideen,
wissenschaftliche Fragen und literarische Probleme wurden in Prag ebenso erörtert wie in Avignon und
Paris, wie in Neapel und Oxford. Das neue Reichs- und Landesgesetz wurde von römisch-canonistisch
geschulten Juristen ausgearbeitet,1 für die Urkunden entlehnte man das Dictat der italienischen Huma-

1 Vgl. Schröder, Deutsche Rechtsgeschichte, 3. Aufl., S. 768 ff.

XXII. Q
 
Annotationen