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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 22.1901

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I. Theil: Abhandlungen
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Dvořák, Max: Die Illumination des Johann von Neumarkt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5948#0064
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Max Dvofäk.

theoretischen Einleitungen und auf Grundlage der Summa eines Canonisten.1 Der römisch-canonistische
Process bietet den Leitfaden, nach welchem die Rechtssatzungen geordnet sind, und die Miniaturen
und Randleisten sind ebenfalls einem canonistischen, und zwar italienischen Codex entlehnt. Die Bilder
sind treue Copien von Miniaturen, die oft in italienischen Rechtshandschriften vorkommen (Fig. 8).
Der Stil der Bilder und die Ornamente verweisen auf eine italienische Vorlage aus dem Anfange des
Jahrhunderts, die nur da modificirt wurde, wo es sich um Darstellungen von Zeitgenossen handelte.

So erscheinen die beiden Rechtsbücher als Grenzsteine der Entwicklung, die sich vollzogen hat.

Das bedeutsamste und zugleich — wenigstens soweit es sich um datirbare Handschriften handelt

_letzte Beispiel der treuen und unselbständigen Uebernahme von fremden Vorbildern dürfte das Bre-

viarium in der Bibliothek des Kreuzherrenklosters in Prag sein.2 Es wurde im Jahre 1356 vom Gross-
meister Leo zusammengestellt, geschrieben und illuminirt. Die Handschrift enthält ausser dem Brevia-
rium wichtige Nachrichten über die Geschichte des Klosters und dessen Privilegien. Es sollte ein be-
sonders kostbares Buch werden. Der Maler verfügte über die Technik und die Ornamente der älteren
Prager Schule. Wir finden in dem Codex z. B. auf Fol. 166', 273, 377 einfache Randleisten aus Streifen
und Rosetten aus langen Blättern in schmutzigen Farben auf Goldgrund wie in den früher besproche-
nen böhmischen Handschriften. Besonders instructiv sind wiederum jene Miniaturen, die keiner fremden
Vorlage entnommen wurden, so das Veraikonbild auf Fol. 1, das Dedicationsbild auf Fol. 2, die Gestalt
des Malers in der Miniatur auf Fol. 9 u. s. w. Die selbständigen Erfindungen des Malers sind leicht co-
lorirte Zeichnungen unter französischem Einflüsse. Noch immer ist also der Zeichenstil das eigentliche
Darstellungsmittel des Malers. In einzelnen Miniaturen, wie z. B. in dem Veraikonbilde, wird man an
das Kreuzigungsbild in dem Missale des Johann von Drazic und an die böhmischen Tafelbilder erinnert.
Es ist das ein Beweis für die Unbeholfenheit und Unselbständigkeit des Malers, welcher Vorbilder suchte,
wo sie zu finden waren. Ausserdem benützte der Maler zweierlei fremde Vorlagen. Die Kalenderbilder,
dann Ornamente und Miniaturen auf Fol. 61', 77', 78', 79, 159' sind einem nordfranzösischen Missale
oder Gebetbuche entnommen. Der Illuminator zeichnete, wie man aus Fig. 9 und 11 sehen kann, die
Initialen und Verzierungen seiner Vorlage ziemlich treu nach und war auch bestrebt, die dunklen, ele-
ganten und discreten Farben der französischen Arbeit wiederzugeben, was ihm jedoch wenig gelang.
Für die Psalterillustrationen benützte dagegen Leo ein italienisches, und zwar, wie besonders nach
den Ornamenten zu schliessen ist, sienesisches Vorbild.3 Aus der Abbildung Fig. 10 kann man ersehen,
wie treu er auch hier seine Vorlage copirte. Und wie dort die dunklen, trachtete er hier die hellen,
leuchtenden Farben der italienischen Handschrift wiederzugeben.

So ist der Codex geradezu ein Musterbuch für das, was man in dieser Zeit in Böhmen in Bezug
auf Bücherausschmückung wollte und konnte.

Bis zu dieser Zeit lässt sich also in Böhmen eine allmälige Entwicklung verfolgen, die vielleicht
als typisch auch für die einzelnen deutschen Gebiete gelten kann. Im XIII. Jahrhundert wurden noch
altchristlich-mittelalterliche Miniaturen unter deutlichen Beziehungen zu den Nachbarländern und
mit der technischen Ueberlieferung der alten Scriptorien gemalt. Dann dringt die Gothik ein und mit
ihr der neue Zeichenstil. In den neuen Schreibstuben bildet sich eine neue Kalligraphie aus. Die überall
einwirkende neue französische Illuminirkunst führt zu localen Versuchen, Aehnliches zu schaffen. Es bildet
sich auch in Böhmen eine neue und primitive Werkstattradition. So auch in der Tafelmalerei. Damit
ist die Grundlage gegeben für den weiteren Fortschritt. Doch zunächst versucht man fremde, complicir-
tere Vorlagen treu nachzumalen. Es gelingt nur die rohe Nachzeichnung, nicht die Wiedergabe der
technischen und stilistischen Feinheiten.

Es ist dies eine Aufeinanderfolge, wie man sie sich kaum natürlicher und dem allgemeinen Ver-
laufe der culturellen Entwicklung Böhmens in dieser Zeit entsprechender vorstellen kann.

1 Vgl. Rössler, Die Stadtrechte von Brünn, Prag 1852, S. XXXVII.

2 Eine Beschreibung der Handschrift mit zwei Abbildungen in den Pamätky archaeologicke IV.

3 Fast genau dieselben Randleisten enthält z. B. der Caleffo di Assunta in dem Staatsarchive von Siena, aus dem die
Titelminiatur von Lombardi photographirt wurde.
 
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