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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 24.1903

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I. Theil: Abhandlungen
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Premerstein, Anton von: Anicia Iuliana im Wiener Dioskorides-Kodex
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https://doi.org/10.11588/diglit.5914#0127
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Anicia Iuliana im Wiener Dioskorides-Kodex.

121

Dagegen stehen die purpurgefärbten Unterkleider der Iuliana — Strictoria und Dalmatica —,
soweit wir zu erkennen vermögen, in keiner sicheren Beziehung zu dem patrizischen Range der
Trägerin. Schon Kaiser Aurelian hatte den Damen vom Stande den Gebrauch solcher Kleidungs-
stücke gestattet.1 Die Schuhe Iulianas sind scharlachrot; den männlichen Patriziern jener Zeit waren
als Fußbekleidung campagi aus schwarzem Leder2 vorgeschrieben. Auch auf dem Mosaik von Ra-
venna tragen Theodora und die sämtlichen Damen ihres Gefolges rote Schuhe, während die Hof-
herren Justinians schwarz beschuht sind.

Den Kopfschmuck der Iuliana (Fig. 5)3 hat bereits E. Molinier in einer Untersuchung über
die eigentümliche Haartracht vornehmer byzantinischer Damen4 behandelt. Uber Stirne und Schläfen
ist halbkreisförmig ein dicker Wulst von dunkelbrauner Farbe gelegt, über
den ein Netz sich kreuzender schwarzer Striche läuft; er läßt die mit großen
Perlenohrgehängen geschmückten Ohren frei. In seiner Mitte ist über der
Stirne eine viereckige goldene Agraffe angebracht;5 oberhalb der Schläfen
steckt je eine kleine, weißglänzende konvexe Scheibe.6 Über diesem ersten
liegt ein zweiter sich verjüngender Wulst, bedeckt von einer scharlachroten,
mit drei Perlenreihen besetzten Haube, von welcher beiderseits je ein rotes
Band herabhängt und an der vorne in der Mitte wieder eine viereckige
Goldagraffe, jetzt bis auf die seitlichen Konturen abgesprungen, angebracht
war. Oben trug die Haube, wie aus noch vorhandenen Resten von Ver-
goldung hervorgeht, einen goldenen Aufsatz, der durch eine Beschädigung FlS- 5- Kopfschmuck
der Miniatur zum größten Teile verschwunden ist; seine Form wird nach

..... ,. . „ . , . vr • (Detailzcichnung nach

den Raumverhaltnissen die einer apitze oder eines Zapfens gewesen sein. dcm original).

Vom Hinterhaupt fiel, wie es scheint, ein Schleier aus dünnem weißen Ge-
webe, welcher rechts vom Kopfe und zu beiden Seiten des Halses sichtbar wird, auf die Schultern
hinab. Der schwarze Wulst und die perlengeschmückte rote Haube mit dem — allerdings viel prunk-
volleren i— Goldschmuck kehren an der Theodora des ravennatischen Mosaiks wieder, während die
Damen ihres Gefolges blonde Hauben tragen; Molinier erkennt daher vielleicht mit Recht in der
Kopftracht Iulianas und Theodoras ein Privileg der höchsten Stände.7

Die Männer patrizischen Ranges trugen zu jener Zeit den apex patriciatus 8 oder die infulae,9
d. h. eine spitz zulaufende Kopfbedeckung, wie sie ehedem den Flamines eigentümlich war, mit daran-
hängenden Bändern.10 Diesem Insigne würde nun die in eine Spitze endigende und bebänderte Haube
der Iuliana entsprechen. Der am byzantinischen Hofe übliche Name für sie oder das, was in der Folge
sich daraus entwickelte, scheint tp-i'/Mya gewesen zu sein, nach der wahrscheinlichsten Etymologie 11

1 Vita Aureliani 46, 4: concessit, ut blatteas matronae tunicas kaberent et ceteras vestes.

2 Ducange, Gloss. med. lat. u. d. W. campagus; C. Jullian, a. a. O. (oben, S. 115, Anm. 4), p. 18 f.

3 Viele Unrichtigkeiten enthält die Beschreibung bei Kondakoff, a. a. O. (oben, S. 105, Anm. 1), p. 110, n. 5.

4 In der Festschrift: Emdes d'histoire du moyen äge dediees ä Gabriel Monod (Paris 1896), p. 61 ff., wo der Kopf
der Iuliana p. 63 abgebildet und p. 64 besprochen wird; dazu E. Molinier, Histoire gen. des arts appliques I, p. 82 f.;
H. Graeven, Jahrbuch der k. preußischen Kunstsammlungen XIX (1898), S. 82 ff., und (Modigliani), L'arte I (1898), p. 365 ff.
(dazu p. 500) über Diptychen aus Florenz und Wien; Ch. Diehl, Justinien, p. 53, fig. 21.

5 Eine ähnlich verwendete Agraffe z. B. bei R. Garucci, Storia della arte cristiana III, tav. 200, n. 3.

6 Ob es Iulianas eigenes Haar, in ein Netz gefaßt, oder — wie dies Darstellungen späterer Zeit zeigen — eine aus
Haaren oder Stoff künstlich hergestellte Perücke ist, die hier zum Vorschein kommt, muß dahingestellt bleiben.

7 Verschieden ist der Kopfputz der mit dem Xojpo; geschmückten Dame (wohl femina consularis) auf dem Philoxenus-
Diptychon (oben, S. 114, Anm. 8).

8 Cassiodor var. I, 3, 8 (um das Jahr 507).

9 Cassiodor var. III, 5, 5 (vom Jahre 509/11): sume . . . patriciatus insignia ... er cani honoris infulis adultam
cinge caesariem; Novella Iust. 62, 2, i: patriciatus infulas.

10 Ober den wohl erst später aufkommenden goldenen Kopfreif des Patriziates (patriciatus circulus) Stückelberg,
a. a. O., S. 62 f.; vgl. S. 60.

11 Von einem Zeitworte Kpo-raXow. Vgl. das als Kopfschmuck dienende ^pojto'Xtov l~- IsxjXXou bei Athenaeus XIV, 16,
p. 622 D.
 
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