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Hans Tietze.
Die Albrechtschen Programme gewähren uns den reichsten Einblick in die geistige Werkstatt,
aus der das Gegenständliche dieser großen Schöpfungen hervorging; denn zusammen mit den Granschen
Entwürfen, die wir besprochen haben, lehren sie uns die eigentümliche Gestaltenwelt dieser Malereien
kennen. Zwei Kreise treten uns entgegen, ein rein religiöser und ein mythologischer. Bei dem ersten
regelt eine Vorliebe für systematische Darstellung die Gestaltung des Themas; die übersichtliche Fassung
der Glaubensartikel im Katechismus des heil. Petrus Canisius legte ihre bildliche Wiedergabe nahe und
die christlichen und die Kardinalstugenden, die Seligkeiten und die Wunder des Rosenkranzes usw. bil-
den ein wichtiges Ingredienz in den barocken Malereien. Andere Bestandteile bedingt die allgemeine
Zeitlage: einerseits die mächtige Erschütterung durch die Pestepidemien von 167g, 1713 etc., die neue
Heilige in den Vordergrund der Andacht schob, besonders den heil. Carolus Borromaeus; anderseits der
Widerhall, den die Kämpfe der Gegenreformation noch immer in der bildenden Kunst erweckten.
Während in mittelalterlichen Darstellungen der triumphierenden Kirche ihren besiegten Feinden nur
gelegentlich ein bescheidener Raum eingeräumt wird (wie in der spanischen Kapelle in Florenz), bilden
jetzt die von dem Erzengel in die Tiefe geschleuderten Gegner der Kirche eine der wichtigsten und
ständigsten Gruppen; ihre Hauptgestalten sind seltener allegorische Figuren — im Brünner Programm:
Lucifer, Mundus, Caro, Haeresis — als Personen, die deutlich genug als die Vertreter der aktuellen
äußeren und inneren Feinde des Katholizismus gezeichnet sind: Türken und Prädikanten wirbeln in
wildem Sturze in die Tiefe.1 Neben dieser Rücksichtnahme auf die Kämpfe der Gegenwart ist ein Zu-
rückgehen auf uralte, inzwischen verlassene Vorstellungen wahrnehmbar; der typologische Gedanken-
kreis, dessen im XIII. und XIV. Jahrhundert so ausgebildetes System die Folgezeit aufgegeben und ver-
gessen hatte, feiert in diesen Antireformationsprogrammen, die mit Absicht und Nachdruck auf die
Anschauungen vor der Glaubensspaltung zurückgreifen, eine Auferstehung und die Opferung Isaaks,
das Osterlamm, die Mannalese, die Speisung des Elias erscheinen im Brünner Programm als Vorbilder
des Kreuzestodes und des Wandlungswunders wie im hohen Mittelalter.2
Ein weiteres Merkmal dieser religiösen Zyklen ist die Durchtränkung mit allegorischen Elementen,
die das verbindende Glied mit den mythologischen Darstellungen und einen charakteristischen Zug der
ganzen Kunstgattung bildet.
Zwei Forderungen stellte die Zeit an die Allegorie: die Verständlichkeit und die Notwendigkeit.3
«Einige haben zwar in der Dunkelheit selbst den größten Witz gesucht, sie vergaßen, daß man die
Allegorie selbst allegorisch unter einem Schleier bildet, der sie verhülle, aber nicht unseren Augen ver-
berge»;4 im allgemeinen aber hat das XVIII. Jahrhundert die Dunkelheit der Allegorie unbedingt ver-
worfen. Das XVII. Jahrhundert hatte bei ihr — unter Nachwirkung der alten Geheimwissenschaft von
den Emblemen und Devisen — auf persönliche Gelehrsamkeit und auf individuelle Erfindung noch
größeres Gewicht gelegt; seine Allegorien sind deshalb ohne Kommentar oft völlig unverständlich und
die betreffenden Kunstwerke, da sie ganz auf geheimen Beziehungen basieren, kaum genießbar. Als
Beispiel sei etwa Sandrarts Verherrlichung der Habsburger Dynastie (Fig. 3) genannt, die in dem Stich
von F. v. d. Steen erhalten ist; ohne Kenntnis der genauen Anweisung Kaiser Ferdinands III.5 ist es
völlig unverständlich, warum der Kaiser und seine Familie als olympische Gottheiten kostümiert sind
oder warum Zeus und die anderen Gottheiten so scharf individuelle Gesichtszüge tragen. Bei den Alle-
gorien des XVIII. Jahrhunderts aber verschwindet das individuelle Schicksal, das etwa in die Darstellung
1 Interessante Beispiele dafür stellt Alfred Schnerich (Die Kunst der Gegenreformation im Domstifte Gurk) im Jahr-
buch der Leo-Gesellschaft 1899, S. 101 ff., zusammen; er weist auf die neuerlichen antilutherischen Maßregeln in der
ersten Hälfte des XVIII. Jahrhunderts hin, die zum Teile mit dem Salzburger Emigrationspatent von iy3i zusammenhängen.
Vgl. auch Zwiedinek, Geschichte der religiösen Bewegung in Innerösterreich im XVIII. Jahrhundert, im Archiv für Kunde
österreichischer Geschichte LIII, S. 457 ff.
2 Vgl. über den typologischen Bilderkreis und besonders sein Ausklingen in späteren Jahrhunderten Jahrbuch der Zen-
tral-Kommission 1904, S. 21 ff.
3 De Piles, Cours de Peinture 71.
4 Hagedorn, Betrachtungen über die Malerei, Leipzig 1762, I, 458.
5 Abgedruckt in der Teutschen Akademie, S. 20 a.
Hans Tietze.
Die Albrechtschen Programme gewähren uns den reichsten Einblick in die geistige Werkstatt,
aus der das Gegenständliche dieser großen Schöpfungen hervorging; denn zusammen mit den Granschen
Entwürfen, die wir besprochen haben, lehren sie uns die eigentümliche Gestaltenwelt dieser Malereien
kennen. Zwei Kreise treten uns entgegen, ein rein religiöser und ein mythologischer. Bei dem ersten
regelt eine Vorliebe für systematische Darstellung die Gestaltung des Themas; die übersichtliche Fassung
der Glaubensartikel im Katechismus des heil. Petrus Canisius legte ihre bildliche Wiedergabe nahe und
die christlichen und die Kardinalstugenden, die Seligkeiten und die Wunder des Rosenkranzes usw. bil-
den ein wichtiges Ingredienz in den barocken Malereien. Andere Bestandteile bedingt die allgemeine
Zeitlage: einerseits die mächtige Erschütterung durch die Pestepidemien von 167g, 1713 etc., die neue
Heilige in den Vordergrund der Andacht schob, besonders den heil. Carolus Borromaeus; anderseits der
Widerhall, den die Kämpfe der Gegenreformation noch immer in der bildenden Kunst erweckten.
Während in mittelalterlichen Darstellungen der triumphierenden Kirche ihren besiegten Feinden nur
gelegentlich ein bescheidener Raum eingeräumt wird (wie in der spanischen Kapelle in Florenz), bilden
jetzt die von dem Erzengel in die Tiefe geschleuderten Gegner der Kirche eine der wichtigsten und
ständigsten Gruppen; ihre Hauptgestalten sind seltener allegorische Figuren — im Brünner Programm:
Lucifer, Mundus, Caro, Haeresis — als Personen, die deutlich genug als die Vertreter der aktuellen
äußeren und inneren Feinde des Katholizismus gezeichnet sind: Türken und Prädikanten wirbeln in
wildem Sturze in die Tiefe.1 Neben dieser Rücksichtnahme auf die Kämpfe der Gegenwart ist ein Zu-
rückgehen auf uralte, inzwischen verlassene Vorstellungen wahrnehmbar; der typologische Gedanken-
kreis, dessen im XIII. und XIV. Jahrhundert so ausgebildetes System die Folgezeit aufgegeben und ver-
gessen hatte, feiert in diesen Antireformationsprogrammen, die mit Absicht und Nachdruck auf die
Anschauungen vor der Glaubensspaltung zurückgreifen, eine Auferstehung und die Opferung Isaaks,
das Osterlamm, die Mannalese, die Speisung des Elias erscheinen im Brünner Programm als Vorbilder
des Kreuzestodes und des Wandlungswunders wie im hohen Mittelalter.2
Ein weiteres Merkmal dieser religiösen Zyklen ist die Durchtränkung mit allegorischen Elementen,
die das verbindende Glied mit den mythologischen Darstellungen und einen charakteristischen Zug der
ganzen Kunstgattung bildet.
Zwei Forderungen stellte die Zeit an die Allegorie: die Verständlichkeit und die Notwendigkeit.3
«Einige haben zwar in der Dunkelheit selbst den größten Witz gesucht, sie vergaßen, daß man die
Allegorie selbst allegorisch unter einem Schleier bildet, der sie verhülle, aber nicht unseren Augen ver-
berge»;4 im allgemeinen aber hat das XVIII. Jahrhundert die Dunkelheit der Allegorie unbedingt ver-
worfen. Das XVII. Jahrhundert hatte bei ihr — unter Nachwirkung der alten Geheimwissenschaft von
den Emblemen und Devisen — auf persönliche Gelehrsamkeit und auf individuelle Erfindung noch
größeres Gewicht gelegt; seine Allegorien sind deshalb ohne Kommentar oft völlig unverständlich und
die betreffenden Kunstwerke, da sie ganz auf geheimen Beziehungen basieren, kaum genießbar. Als
Beispiel sei etwa Sandrarts Verherrlichung der Habsburger Dynastie (Fig. 3) genannt, die in dem Stich
von F. v. d. Steen erhalten ist; ohne Kenntnis der genauen Anweisung Kaiser Ferdinands III.5 ist es
völlig unverständlich, warum der Kaiser und seine Familie als olympische Gottheiten kostümiert sind
oder warum Zeus und die anderen Gottheiten so scharf individuelle Gesichtszüge tragen. Bei den Alle-
gorien des XVIII. Jahrhunderts aber verschwindet das individuelle Schicksal, das etwa in die Darstellung
1 Interessante Beispiele dafür stellt Alfred Schnerich (Die Kunst der Gegenreformation im Domstifte Gurk) im Jahr-
buch der Leo-Gesellschaft 1899, S. 101 ff., zusammen; er weist auf die neuerlichen antilutherischen Maßregeln in der
ersten Hälfte des XVIII. Jahrhunderts hin, die zum Teile mit dem Salzburger Emigrationspatent von iy3i zusammenhängen.
Vgl. auch Zwiedinek, Geschichte der religiösen Bewegung in Innerösterreich im XVIII. Jahrhundert, im Archiv für Kunde
österreichischer Geschichte LIII, S. 457 ff.
2 Vgl. über den typologischen Bilderkreis und besonders sein Ausklingen in späteren Jahrhunderten Jahrbuch der Zen-
tral-Kommission 1904, S. 21 ff.
3 De Piles, Cours de Peinture 71.
4 Hagedorn, Betrachtungen über die Malerei, Leipzig 1762, I, 458.
5 Abgedruckt in der Teutschen Akademie, S. 20 a.