Neue Beiträge zur Dürer-Forschung.
187
vorigen Jahrhundert die Wanderburschen den Hauptlinien folgten, so war dies damals erst recht eine
Notwendigkeit, da die große Unsicherheit und der allgemeine Mangel guter Landwege die Benützung
der belebten Verkehrsstrassen ganz selbstverständlich erscheinen lassen.
Es lohnt sich des dankbaren Versuches, gewissermaßen als Gegenprobe das wenige vorhandene
Material an Zeichnungen, Holzschnitten und Bildern diesem vermutlichen Reiseplane einzureihen.
Ich denke hier vor allem an die Bodenseelandschaften, deren auffallendes Auftreten unmittelbar
nach 1495 eine Fahrt über den Bodensee sehr wahrscheinlich machen. Auf vielen Blättern der Apo-
calypse (B. 63,72), des Marienlebens (B. 78), auf dem großen Courier (B. i3i), dem Ercules (B. 127), auf
früheren Kupferstichen, wie dem Landsknecht mit der Dame (B. 82), dem Landsknecht (B. 87), dem
Meerwunder (B. 71), begegnen uns große Seelandschaften mit ferner und breiter Horizontlinie und
großen Segelschiffen, an den Ufern süddeutsche Burgen und Ansiedelungen von durchaus lokalem Ge-
präge, sanft ansteigende Hügel und in der Ferne hohe zackige Spitzen großer Gebirgsstöcke (Fig. 2).
Das sind Formen, welche nicht auf freier Erfindung beruhen können, sondern Gesehenes und an Ort
Fig. 3. Landschaft aus einem Blatt der Apokalypse, B. 72 (Abschnitt).
und Stelle Aufgenommenes voraussetzen. Freilich, auch Schongauer hat große Seelandschaften im
Hintergrunde; aber mit wie geringer lokaler Färbung, wie konventionell im Aufbau!
Die breite Landschaft zu Füßen der vier in den Lüften mit Drachen kämpfenden Engel in der
Apokalypse (B. 72: Fig. 3) wird in jedem Kenner des Bodensees Erinnerungen an diesen erwecken.
Insbesondere muß hier auf die großflächigen Fluren und Hügelgelände hingewiesen werden, die von
langlinigen Gesträuchen und Baumbeständen gehegeartig eingefaßt werden.1
Nach Ortel gab es von Ravensburg aus zwei Wege zum See, den diagonalen direkt über Markdorf
zur Überfuhrstelle Meersburg und den längeren nach Buchhorn (Friedrichshafen) und dann längs des
Nordufers westwärts bis nach Meersburg. Hatte Dürer auch von Konstanz ab am Untersee noch genug
Gelegenheit, landschaftliche Studien zu machen, so mag es doch nicht überflüssig erscheinen, auch auf
diese Strecke Buchhorn—Meersburg hinzuweisen.
Aber trotz aller allgemeinen Ähnlichkeiten läßt sich eine nähere Lokalisierung kaum mehr er-
reichen. Abgesehen von den heute völlig veränderten Situationen, wissen wir auch aus zahlreichen
Beispielen, wie Dürer bei der Verwendung seiner zeichnerischen Vorlagen umsprang und Bestimmtes
verallgemeinerte und umkomponierte.2 Mir wenigstens ist es trotz alles Auf- und Absuchens des Boden-
1 Fs kann angesichts solcher Veduten und bei deren richtiger Deutung heute wohl niemandem mehr der Gardasee in
den Sinn kommen, wie es seinerzeit geschah.
2 Ein charakteristisches Beispiel bietet die Ansicht von Trient in Bremen (L. 109), von der ein Teil in der allegori-
schen Zeichnung Pupila augusta zu Windsor (L. 38g) und dann wieder in dem Kupferstiche des hl. Antonius vor der Stadt
von 1519 (L5. 58) verwendet und umgemodelt wurde; vgl. Weisbach, Der junge Dürer, S. 64.
187
vorigen Jahrhundert die Wanderburschen den Hauptlinien folgten, so war dies damals erst recht eine
Notwendigkeit, da die große Unsicherheit und der allgemeine Mangel guter Landwege die Benützung
der belebten Verkehrsstrassen ganz selbstverständlich erscheinen lassen.
Es lohnt sich des dankbaren Versuches, gewissermaßen als Gegenprobe das wenige vorhandene
Material an Zeichnungen, Holzschnitten und Bildern diesem vermutlichen Reiseplane einzureihen.
Ich denke hier vor allem an die Bodenseelandschaften, deren auffallendes Auftreten unmittelbar
nach 1495 eine Fahrt über den Bodensee sehr wahrscheinlich machen. Auf vielen Blättern der Apo-
calypse (B. 63,72), des Marienlebens (B. 78), auf dem großen Courier (B. i3i), dem Ercules (B. 127), auf
früheren Kupferstichen, wie dem Landsknecht mit der Dame (B. 82), dem Landsknecht (B. 87), dem
Meerwunder (B. 71), begegnen uns große Seelandschaften mit ferner und breiter Horizontlinie und
großen Segelschiffen, an den Ufern süddeutsche Burgen und Ansiedelungen von durchaus lokalem Ge-
präge, sanft ansteigende Hügel und in der Ferne hohe zackige Spitzen großer Gebirgsstöcke (Fig. 2).
Das sind Formen, welche nicht auf freier Erfindung beruhen können, sondern Gesehenes und an Ort
Fig. 3. Landschaft aus einem Blatt der Apokalypse, B. 72 (Abschnitt).
und Stelle Aufgenommenes voraussetzen. Freilich, auch Schongauer hat große Seelandschaften im
Hintergrunde; aber mit wie geringer lokaler Färbung, wie konventionell im Aufbau!
Die breite Landschaft zu Füßen der vier in den Lüften mit Drachen kämpfenden Engel in der
Apokalypse (B. 72: Fig. 3) wird in jedem Kenner des Bodensees Erinnerungen an diesen erwecken.
Insbesondere muß hier auf die großflächigen Fluren und Hügelgelände hingewiesen werden, die von
langlinigen Gesträuchen und Baumbeständen gehegeartig eingefaßt werden.1
Nach Ortel gab es von Ravensburg aus zwei Wege zum See, den diagonalen direkt über Markdorf
zur Überfuhrstelle Meersburg und den längeren nach Buchhorn (Friedrichshafen) und dann längs des
Nordufers westwärts bis nach Meersburg. Hatte Dürer auch von Konstanz ab am Untersee noch genug
Gelegenheit, landschaftliche Studien zu machen, so mag es doch nicht überflüssig erscheinen, auch auf
diese Strecke Buchhorn—Meersburg hinzuweisen.
Aber trotz aller allgemeinen Ähnlichkeiten läßt sich eine nähere Lokalisierung kaum mehr er-
reichen. Abgesehen von den heute völlig veränderten Situationen, wissen wir auch aus zahlreichen
Beispielen, wie Dürer bei der Verwendung seiner zeichnerischen Vorlagen umsprang und Bestimmtes
verallgemeinerte und umkomponierte.2 Mir wenigstens ist es trotz alles Auf- und Absuchens des Boden-
1 Fs kann angesichts solcher Veduten und bei deren richtiger Deutung heute wohl niemandem mehr der Gardasee in
den Sinn kommen, wie es seinerzeit geschah.
2 Ein charakteristisches Beispiel bietet die Ansicht von Trient in Bremen (L. 109), von der ein Teil in der allegori-
schen Zeichnung Pupila augusta zu Windsor (L. 38g) und dann wieder in dem Kupferstiche des hl. Antonius vor der Stadt
von 1519 (L5. 58) verwendet und umgemodelt wurde; vgl. Weisbach, Der junge Dürer, S. 64.