Neue Beiträge zur Dürer-Forschung.
203
damals Giovanni und Gentile Bellini. Der erstere hatte schon seit den fünfziger Jahren in und um
Venedig hervorragende Kunstwerke stehen und zählte eine Menge Schüler und Nachahmer. Eines seiner
gefeiertesten Altarwerke war die sieben Jahre vorher vollendete Madonna mit vier Heiligen, das glän-
zende Triptychon in der Frarikirche. Gentile arbeitete noch an dem großen Prozessionsbilde (heute
in der Akademie), das erst 1496 abgeschlossen wurde und aus dem Dürer während seines zweiten Auf-
enthaltes in Venedig Gruppen ko-
pierte. Cima malte 1494 die Taufe _
Christi für S. Giovanni in Bragora
und Carpaccio an seinem großen
Ursula-Zyklus. Ein wichtiges Er-
eignis bereitete sich vor, die Er-
richtung des Colleoni-Denkmales.
Da es erst am 21. März 1496 ent-
hüllt wurde, so müssen wir we-
nigstens den Sockelbau für die Zeit
desDürerschen Aufenthalts als fer-
tig voraussetzen und annehmen,
daß von diesem großen Werke
und seinem merkwürdigen Meister
viel gesprochen wurde.
Was Dürer neben den regen
und für ihn völlig neuen Kunst-
verhältnissen noch besonders inter-
essiert haben mochte, das war das
Stadtbild selbst, die Plätze und
monumentalen Gebäude, die Gäß-
chen und Kanäle mit den fremd-
artig gekleideten Menschen: Ein-
heimischen, Türken und Griechen.
Er hatte immer ein lebhaftes Inter-
esse an der äußeren Bildung und
Erscheinung, an Seltsamkeiten in
Kleidung und Tracht, mehr natür-
lich noch in seinen Lehr- und
Wanderjahren als im reiferen Alter.
Schon seine Selbstbildnisse geben
zu der porträtmäßigen Wirkung
immer noch ein gutes Stück Zeitkostüm in raffinierter Detaillierung aller Bestandteile. Seine Zeich-
nungen liefern ein reicheres Kostümmaterial, als wir es sonst bei einem Künstler wiederfinden. Ob er
in fremden Landen weilte oder in seiner Vaterstadt, immer notiert er in sein Skizzenbuch oder auf Sepa-
ratblättern, was sich auf Trachten bezieht oder wie er sich ausdrückte: «wie die Leute gehen».1
Fig. IS
Kostümstudie nach einem Frauenporträt.
Bremen, Kunsthalle.
1 Seine Vorliebe findet hier kein Ende. Aus seinen westlichen Wanderungen stammen die Dame mit der Schleppe
(L. 346) und das Basler Kostüm eines Liebespaares (Hamburg: Jahrbuch der kgl. preußischen Kunstsammlungen 1904);
aus Venedig verschiedene Frauentrachten, Ritter, Türken und Friaulerinnen (L. 459, 187 und Dürer-Society IX); aus Nürn-
berg 1498 die Rüstung eines deutschen Reitersmannes (L. 461) und die dreifache Ausstattung seiner eigenen Frau aus dem
Jahre 1500 (L. 463__465). Auf seiner zweiten Reise nach Venedig studiert er windische Bäuerinnen (L. 180 und 408, 3o6
und Albertina-Publikation 978); 1516—1518 entwirft er Hofkostüme und Triumphreiter (L. 541—543 und 549—554). 1520
bis 1521 zeichnet er auf seiner niederländischen Reise alles, was ihm zu Gesichte kam: Zeeländische Frauen (L. 341), eine
junge Negerin (Uffizien), die zur Kirche gehende holländische Frau (L. 385), ei"e kölnische Kopftracht (L. 424), irländische
Kriegsleute und Bauern (L. 62) und isländische Frauen der armen und reichen Klasse (L. 3y3—375) und viele andere ohne
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damals Giovanni und Gentile Bellini. Der erstere hatte schon seit den fünfziger Jahren in und um
Venedig hervorragende Kunstwerke stehen und zählte eine Menge Schüler und Nachahmer. Eines seiner
gefeiertesten Altarwerke war die sieben Jahre vorher vollendete Madonna mit vier Heiligen, das glän-
zende Triptychon in der Frarikirche. Gentile arbeitete noch an dem großen Prozessionsbilde (heute
in der Akademie), das erst 1496 abgeschlossen wurde und aus dem Dürer während seines zweiten Auf-
enthaltes in Venedig Gruppen ko-
pierte. Cima malte 1494 die Taufe _
Christi für S. Giovanni in Bragora
und Carpaccio an seinem großen
Ursula-Zyklus. Ein wichtiges Er-
eignis bereitete sich vor, die Er-
richtung des Colleoni-Denkmales.
Da es erst am 21. März 1496 ent-
hüllt wurde, so müssen wir we-
nigstens den Sockelbau für die Zeit
desDürerschen Aufenthalts als fer-
tig voraussetzen und annehmen,
daß von diesem großen Werke
und seinem merkwürdigen Meister
viel gesprochen wurde.
Was Dürer neben den regen
und für ihn völlig neuen Kunst-
verhältnissen noch besonders inter-
essiert haben mochte, das war das
Stadtbild selbst, die Plätze und
monumentalen Gebäude, die Gäß-
chen und Kanäle mit den fremd-
artig gekleideten Menschen: Ein-
heimischen, Türken und Griechen.
Er hatte immer ein lebhaftes Inter-
esse an der äußeren Bildung und
Erscheinung, an Seltsamkeiten in
Kleidung und Tracht, mehr natür-
lich noch in seinen Lehr- und
Wanderjahren als im reiferen Alter.
Schon seine Selbstbildnisse geben
zu der porträtmäßigen Wirkung
immer noch ein gutes Stück Zeitkostüm in raffinierter Detaillierung aller Bestandteile. Seine Zeich-
nungen liefern ein reicheres Kostümmaterial, als wir es sonst bei einem Künstler wiederfinden. Ob er
in fremden Landen weilte oder in seiner Vaterstadt, immer notiert er in sein Skizzenbuch oder auf Sepa-
ratblättern, was sich auf Trachten bezieht oder wie er sich ausdrückte: «wie die Leute gehen».1
Fig. IS
Kostümstudie nach einem Frauenporträt.
Bremen, Kunsthalle.
1 Seine Vorliebe findet hier kein Ende. Aus seinen westlichen Wanderungen stammen die Dame mit der Schleppe
(L. 346) und das Basler Kostüm eines Liebespaares (Hamburg: Jahrbuch der kgl. preußischen Kunstsammlungen 1904);
aus Venedig verschiedene Frauentrachten, Ritter, Türken und Friaulerinnen (L. 459, 187 und Dürer-Society IX); aus Nürn-
berg 1498 die Rüstung eines deutschen Reitersmannes (L. 461) und die dreifache Ausstattung seiner eigenen Frau aus dem
Jahre 1500 (L. 463__465). Auf seiner zweiten Reise nach Venedig studiert er windische Bäuerinnen (L. 180 und 408, 3o6
und Albertina-Publikation 978); 1516—1518 entwirft er Hofkostüme und Triumphreiter (L. 541—543 und 549—554). 1520
bis 1521 zeichnet er auf seiner niederländischen Reise alles, was ihm zu Gesichte kam: Zeeländische Frauen (L. 341), eine
junge Negerin (Uffizien), die zur Kirche gehende holländische Frau (L. 385), ei"e kölnische Kopftracht (L. 424), irländische
Kriegsleute und Bauern (L. 62) und isländische Frauen der armen und reichen Klasse (L. 3y3—375) und viele andere ohne