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Joseph Meder.
Es ist nicht ohne Interesse, die Gruppe venezianischer Kostümzeichnungen im Zusammenhange
zu betrachten, um gleichzeitig eine neue an der entsprechenden Stelle einzuführen und einzureihen.
Eine sehr bekannte und viel-
fach reproduzierte Studie (Fig. 12),
die wegen ihrer alten und echten
Datierung 1495 seinerzeit den Aus-
gangspunkt für die Annahme einer
ersten venezianischen Reise bildete
und Gegenstand vieler Kontro-
versen war, ist die junge, vor-
nehme Dame der Albertina
(L. 459), an der Dürer bereits, um
des Stofflichen der verschiedenen
Gewandteile Herr zu werden,
sein technisches Können mit der
Feder und dem farbigen Pinsel
versuchte.1 Brokat und Seide soll-
ten dem Auge scharf kenntlich ge-
macht werden. Während das Fräu-
lein in der Linken ein Paternoster
hält, trägt sie, über die Rechte
sorgfältig gelegt, das Rocchetto,
jenes lange seidene Übergewand,
das vorne gespalten und durch
2—3 Knöpfe zusammengehalten
war, rückwärts aber schleppartig
endete.
Diese Figur als nach einer
«welschen Kurtisane» und noch
dazu in Nürnberg gezeichnet hin-
zustellen, wie es D. Burckhardt
(Repertorium für Kunstwissen-
schaft XXIX, 558) getan hat, ent-
Fig. 16. Phantasiekostümfigur. spricht weder den Tatsachen —
Basel, öffentliche Kunstsammlung. denn sie trägt ein Paternoster —
noch den Beschreibungen des Ve-
cellio.2 Wir haben hier einfach die Tracht einer Unverheirateten vor uns. Eine kleine Studie im Hinter-
grunde soll das Tragen und Fallen des Gewandes von rückwärts darstellen.
jede lokale Bezeichnung (z. B. L. 56, 285). Steckt schon in dieser summarischen Aufzählung eine erkleckliche Anzahl von
Studienblättern, so deuten uns seine Gemälde, Stiche und Holzschnitte in ergänzender Weise an, was verloren gegangen
sein mag.
1 Daß diese Zeichnung, wie der beschreibende Text des Blattes in der Dürer-Society IX lautet, an vielen Stellen von
später Hand Überarbeitungen erfahren habe, wird wohl eine irrige Auffassung bleiben müssen.
a Cesare Vecellio beschreibt dieses Kostüm für heiratsfähige Mädchen in seinem Werke: Degli Habiti, Venezia 1590,
p. 90, in folgender Weise: Quando le Donzelle erano per maritare, andavano col petto e con spalle scoperte. . . . Ha questa
donzella un busto assai corto, che a pena le copre la piii bella parte del petto, fuor de quäle escono all intorno i merli
della camicia, portamcnto che rendeva le spalle assai belle. II busto e fregiato intorno da una lista di tela d'orob d'altra
cosa di gran Valuta, pur arricchita d' oro et di gioie. Usavano le maniche variate et mi ricordo havernc vedutc con
maniche d' oro et busti con assai perle: et queste maniche erano aperte dietro, ricamate et affibbiate con bottoni d' oro et
frä quelle aperturc useiva la camicia. . . . Questa che io vi rappresento haveva un rocchetto di seta bianca, crespa e traspa-
rente diviso in duc parti.
Joseph Meder.
Es ist nicht ohne Interesse, die Gruppe venezianischer Kostümzeichnungen im Zusammenhange
zu betrachten, um gleichzeitig eine neue an der entsprechenden Stelle einzuführen und einzureihen.
Eine sehr bekannte und viel-
fach reproduzierte Studie (Fig. 12),
die wegen ihrer alten und echten
Datierung 1495 seinerzeit den Aus-
gangspunkt für die Annahme einer
ersten venezianischen Reise bildete
und Gegenstand vieler Kontro-
versen war, ist die junge, vor-
nehme Dame der Albertina
(L. 459), an der Dürer bereits, um
des Stofflichen der verschiedenen
Gewandteile Herr zu werden,
sein technisches Können mit der
Feder und dem farbigen Pinsel
versuchte.1 Brokat und Seide soll-
ten dem Auge scharf kenntlich ge-
macht werden. Während das Fräu-
lein in der Linken ein Paternoster
hält, trägt sie, über die Rechte
sorgfältig gelegt, das Rocchetto,
jenes lange seidene Übergewand,
das vorne gespalten und durch
2—3 Knöpfe zusammengehalten
war, rückwärts aber schleppartig
endete.
Diese Figur als nach einer
«welschen Kurtisane» und noch
dazu in Nürnberg gezeichnet hin-
zustellen, wie es D. Burckhardt
(Repertorium für Kunstwissen-
schaft XXIX, 558) getan hat, ent-
Fig. 16. Phantasiekostümfigur. spricht weder den Tatsachen —
Basel, öffentliche Kunstsammlung. denn sie trägt ein Paternoster —
noch den Beschreibungen des Ve-
cellio.2 Wir haben hier einfach die Tracht einer Unverheirateten vor uns. Eine kleine Studie im Hinter-
grunde soll das Tragen und Fallen des Gewandes von rückwärts darstellen.
jede lokale Bezeichnung (z. B. L. 56, 285). Steckt schon in dieser summarischen Aufzählung eine erkleckliche Anzahl von
Studienblättern, so deuten uns seine Gemälde, Stiche und Holzschnitte in ergänzender Weise an, was verloren gegangen
sein mag.
1 Daß diese Zeichnung, wie der beschreibende Text des Blattes in der Dürer-Society IX lautet, an vielen Stellen von
später Hand Überarbeitungen erfahren habe, wird wohl eine irrige Auffassung bleiben müssen.
a Cesare Vecellio beschreibt dieses Kostüm für heiratsfähige Mädchen in seinem Werke: Degli Habiti, Venezia 1590,
p. 90, in folgender Weise: Quando le Donzelle erano per maritare, andavano col petto e con spalle scoperte. . . . Ha questa
donzella un busto assai corto, che a pena le copre la piii bella parte del petto, fuor de quäle escono all intorno i merli
della camicia, portamcnto che rendeva le spalle assai belle. II busto e fregiato intorno da una lista di tela d'orob d'altra
cosa di gran Valuta, pur arricchita d' oro et di gioie. Usavano le maniche variate et mi ricordo havernc vedutc con
maniche d' oro et busti con assai perle: et queste maniche erano aperte dietro, ricamate et affibbiate con bottoni d' oro et
frä quelle aperturc useiva la camicia. . . . Questa che io vi rappresento haveva un rocchetto di seta bianca, crespa e traspa-
rente diviso in duc parti.