Neue Beiträge zur Dürer-Forschung.
205
In Frankfurt findet sich ein ähnliches Blatt mit einer Venezianerin und einer deutschen Bür-
gersfrau (L. 187: Fig. i3), die wie zum Vergleiche nebeneinander gestellt sind.1 Dürer zeichnete hier
eine in Venedig gesehene Deutsche nach der Natur, kaum aus der bloßen Erinnerung. Der Kopfputz
dieser Venezianerin unterscheidet
sich wesentlich von jenem der
Dame auf der Albertina-Zeich-
nung. Die hohe Frisur von einem
Schleier überhangen, bezeichnet
eine ganz bestimmte Tracht, viel-
leicht ein Brautkostüm. Technisch
betrachtet, möchte ich auf die
wirren Kreuzlagen der Federstriche,
z. B. an dem Kleide der Bürgers-
frau, aufmerksam machen, die,
auch auf anderen Zeichnungen der
venezianischen Gruppe vorkom-
mend, die Zusammengehörigkeit
mit erhärten helfen. Ob nicht
beide Zeichnungen sich einst auf
einem und demselben Blatte be-
fanden?
Unmittelbar an beide ist nun
eine neu gewonnene Zeichnung,
die Rückseite des Albertina-Blattes
mit der vornehmen Venezianerin,
anzureihen, die, seinerzeit als min-
derwertig betrachtet, einfach auf
den Untersatzkarton geklebt wor-
den war (Taf. XXI). Durch vor-
sichtiges Ablösen hatte ich die
Freude, den Dürer-Schatz um eine
kle ine Ergänzung vermehrt zu
sehen. Die Überraschung war nicht
gering, als abermals eine Venezia-
ner i n erschien, von gleicher Mache,
doch geringerer Ausführung als jene auf der Vorderseite;2 wieder mit dem busto assai corto, dem von
oben bis unten gespaltenen und nur mit zwei Knöpfen geschlossenen Rocchetto, dessen lange Schleppe
durch einfaches Anklemmen an die Hüfte in die Höhe gehalten wird. Es ist dies wohl eine Kostüm-
studie nach einer minder vornehmen Dame, die im Gegensatze zu der Figur auf der Vorderseite, wo aller
Pomp und Putz zur Schau getragen wird, sowie zu jener auf dem Frankfurter Blatte, wo noch reiche
Stickereien den Ärmel zieren, das schmuckloseste Gewand mit schlichten, bis über die Mittelhand rei-
chenden Ärmeln aufweist. Links unten ist ein hölzerner venezianischer Pantoffel separat gezeichnet.3
Fig. 17. Kluge Jungfrau, Kostümstudic.
Wien, Albertina.
1 Seidlitz will in ihnen den Gegensatz zwischen der ehrsamen Bürgersfrau und der durch den verächtlichen Blick
charakterisierten Buhlerin herausfinden: Repertorium für Kunstwissenschaft VI, 199.
2 Herr Dr. O. Pollak machte mich vor ungefähr sechs Jahren zuerst darauf aufmerksam, daß die Rückseite bezeichnet
sein müsse, da an gewissen Stellen die Tusche durchscheine. Er vermutete damals eine männliche Figur, etwa für die
Apokalypse.
3 Kreideentwurf, mit Tuschfeder ausgeführt. Eine Beweisführung für Dürer erachte ich bei der völligen Übereinstim-
mung mit der Vorderseite und dem Frankfurter Blatte für überflüssig.
205
In Frankfurt findet sich ein ähnliches Blatt mit einer Venezianerin und einer deutschen Bür-
gersfrau (L. 187: Fig. i3), die wie zum Vergleiche nebeneinander gestellt sind.1 Dürer zeichnete hier
eine in Venedig gesehene Deutsche nach der Natur, kaum aus der bloßen Erinnerung. Der Kopfputz
dieser Venezianerin unterscheidet
sich wesentlich von jenem der
Dame auf der Albertina-Zeich-
nung. Die hohe Frisur von einem
Schleier überhangen, bezeichnet
eine ganz bestimmte Tracht, viel-
leicht ein Brautkostüm. Technisch
betrachtet, möchte ich auf die
wirren Kreuzlagen der Federstriche,
z. B. an dem Kleide der Bürgers-
frau, aufmerksam machen, die,
auch auf anderen Zeichnungen der
venezianischen Gruppe vorkom-
mend, die Zusammengehörigkeit
mit erhärten helfen. Ob nicht
beide Zeichnungen sich einst auf
einem und demselben Blatte be-
fanden?
Unmittelbar an beide ist nun
eine neu gewonnene Zeichnung,
die Rückseite des Albertina-Blattes
mit der vornehmen Venezianerin,
anzureihen, die, seinerzeit als min-
derwertig betrachtet, einfach auf
den Untersatzkarton geklebt wor-
den war (Taf. XXI). Durch vor-
sichtiges Ablösen hatte ich die
Freude, den Dürer-Schatz um eine
kle ine Ergänzung vermehrt zu
sehen. Die Überraschung war nicht
gering, als abermals eine Venezia-
ner i n erschien, von gleicher Mache,
doch geringerer Ausführung als jene auf der Vorderseite;2 wieder mit dem busto assai corto, dem von
oben bis unten gespaltenen und nur mit zwei Knöpfen geschlossenen Rocchetto, dessen lange Schleppe
durch einfaches Anklemmen an die Hüfte in die Höhe gehalten wird. Es ist dies wohl eine Kostüm-
studie nach einer minder vornehmen Dame, die im Gegensatze zu der Figur auf der Vorderseite, wo aller
Pomp und Putz zur Schau getragen wird, sowie zu jener auf dem Frankfurter Blatte, wo noch reiche
Stickereien den Ärmel zieren, das schmuckloseste Gewand mit schlichten, bis über die Mittelhand rei-
chenden Ärmeln aufweist. Links unten ist ein hölzerner venezianischer Pantoffel separat gezeichnet.3
Fig. 17. Kluge Jungfrau, Kostümstudic.
Wien, Albertina.
1 Seidlitz will in ihnen den Gegensatz zwischen der ehrsamen Bürgersfrau und der durch den verächtlichen Blick
charakterisierten Buhlerin herausfinden: Repertorium für Kunstwissenschaft VI, 199.
2 Herr Dr. O. Pollak machte mich vor ungefähr sechs Jahren zuerst darauf aufmerksam, daß die Rückseite bezeichnet
sein müsse, da an gewissen Stellen die Tusche durchscheine. Er vermutete damals eine männliche Figur, etwa für die
Apokalypse.
3 Kreideentwurf, mit Tuschfeder ausgeführt. Eine Beweisführung für Dürer erachte ich bei der völligen Übereinstim-
mung mit der Vorderseite und dem Frankfurter Blatte für überflüssig.