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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 30.1911-1912

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I. Teil: Abhandlungen
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Meder, Joseph: Neue Beiträge zur Dürer-Forschung
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https://doi.org/10.11588/diglit.6177#0222
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206

Joseph Meder.

Dürer suchte sich, das wird uns aus diesen drei Typen offenbar, die verschiedensten Modelle in Vene-
dig zusammen und stellte sie hier wie zum Vergleiche nebeneinander. Es ist sehr wahrscheinlich, daß
seinerzeit, bevor die Zeichnungen so stark verschnitten wurden, auch Vermerke und handschriftliche
Notizen sie begleiteten, wie Dürer es immer liebte. Sie bildeten in ihrem Zusammenhang wohl eine
analoge Serie wie die im Jahre 1500 gezeichneten drei Trachtenstücke nach seiner eigenen Frau, auf
denen die dreifache Ausstattung einer Nürnbergerin zum Ausdrucke kommen sollte. Außer dem Kopf-
putz, Perlschmuck und Brokatstoff und all dem schmückenden Beiwerk erregte das verschiedene, aber
immer reizvolle Tragen des langen, feingewobenen Ubergewandes sein spezielles Interesse, so daß er
es in allen dekorativen Variationen darstellte. Das Fallen und Spielen großer und kleiner Falten war

für Dürer ein Problem, dem er,
wie die Bonnat-Zeichnung: eine
deutsche Frau mit aufgerafftem Ge-
wände (L. 346) lehrt, schon in den
neunziger Jahren nachging.

Zu bedauern ist der Um-
stand, daß das Albertina-Blatt
seinerzeit von roher Hand und
nur mit Rücksicht auf die Vorder-
seite zugeschnitten und so die
Figur ihres Kopfes beraubt wurde.
Wäre es doch interessant, auch die
Kopf-und Haartrachten miteinan-
der zu vergleichen, um die gesell-
schaftlich verschieden rangieren-
den Frauengestalten auch nach
diesem Detail auseinander halten
zu können.

Eine solche Auswahl von
Typen konnte Dürer nur in Venedig selbst finden, nie aber in Nürnberg, wie man wiederholt zu be-
haupten versuchte. Die sogenannte Nürnberger Dame, die auf dem Frankfurter Blatte neben der Vene-
zianerin erscheint, ließ sich ebenso gut in Venedig finden. Denn hier gab es genug Deutsche und dar-
unter wohl auch deutsche Frauen; und daß diese ihre vaterländische Tracht auch im fremden Lande
beibehielten, beweist uns die bekannte Gruppe deutscher Kaufleute auf dem Prozessionsbilde Gentile
Bellinis in Venedig, die sich inmitten der festlichen Entfaltung auf dem Markusplatz ganz absonder-
lich ausnehmen.

Außer diesen drei eng zusammengehörenden Zeichnungen aus dem Jahre 1495 kennen wir noch
andere Kostümstudien aus Venedig, die erst in den letzten Jahren, nachdem sie eine Zeitlang als Origi-
nale aufgeben waren, wieder hervorgesucht und publiziert wurden. Ich nenne zunächst die Cölner
Zeichnung, die trotz einiger Überzeichnungen dennoch Dürer angehört und in die erste Venediger Zeit
fällt; eine heilige Katharina im Venezianer Kostüm und mit dem Verlobungsring an dem Finger, vor
der nur angedeuteten Madonna mit dem Kinde kniend (Fig. 14).3 Die peinlich ausgeführte Figur der
Heiligen steht mit den flüchtig und unzusammenhängend gezeichneten Umrißfragmenten der Madonna
und des rechts dem Schöße angelehnten Engels im offenen Widerspruch; denn kein Künstler würde
eine mehrfigurige Komposition so zusammenhanglos und unorganisch entwerfen, dagegen eine einzelne
Figur in um so ausführlicherer Weise behandeln. Tatsächlich fehlen auch alle Spuren eines Gesamtent-
wurfes, wie wir sie sonst immer beobachten, und die wenigen an verschiedenen Stellen hingesetzten

3 Zum ersten Male publiziert in Handzeichnungen alter Meister im Besitze des Museums Wallraf-Richartz zu Cöln.
herausgegeben von A. Lindner, Tafel 2.
 
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