Neue Beiträge zur Dürer-Forschung.
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Als Dürer einige Jahre später den Stich Herkules (B. 73) aus verschiedenen Vorlagen zusammen-
komponierte, schmückte er die Figur der Keulenschlägerin wieder mit Stirnband und Knotentuch, genau
so, wie wir es an der Zeichnung der klugen Jungfrau sehen (Fig. ig). Weder der italienische Kupferstich
Tod des Orpheus (P. V. 47, 120), der noch immer als indirekte Vorlage für den Herkules-Stich zitiert
wird, noch Dürers eigene Federzeichnung vom Jahre 1494 (L. 159) nach einem Mantegna-Originale1
weisen eine derartige Betonung des
Kostümlichen auf, seihst wenn er
sich bei dieser Kopie mancherlei
Umformungen erlaubt hätte (vgl.
Fig. 25). Das Knotentuch konnteer
eben nicht verwenden, weil es auf
der Mantegna-Vorlage nicht vor-
kam und weil er es im Jahre 1494,
d. h. auf seiner Hinreise und in
Venedig noch nicht kennen gelernt
hatte. Dies geschah wohl erst auf
der Rückreise durch das friaulische
Gebiet, auf der bereits erwähnten
zweiten Route überTreviso, Cone-
gliano, Cortina, Toblach, FYan-
zensfeste, wie sie auf der Glocken-
donschen Karte deutlich ange-
geben ist.
Diese Route, die für die erste
venezianische Reise noch befremd-
lich erscheinen mag, weil hier keine
anderen Gründe als die angeführ-
ten Kostümstudien aus dem Friau-
lischen erbracht werden können,
erweist sich mit voller Sicherheit
für Dürers zweite Reise vom Jahre
1505 durch die Ansicht von Wels-
berg (L. 392), einem Orte zwischen
Bruneck und Toblach,2 durch die
beiden Kopfstudien windischer
Bäuerinnen (L. 180 und 408) und durch eine Dolomitenlandschaft (L. 238); ferner durch die beiden
Kopien nach Dürerzeichnungen, die lächelnde Alte im Louvre (L. 3o6) und den Frauenkopf in Budapest
(Albertina-Publikation, Nr. 978).
Fig. 21. Skizzenblatt.
Berlin, kgl. Museen.
1 Beide abgebildet bei Ephrussi, Dürer, p. 21 und 24.
2 Haendcke, dem das Verdienst zufällt, zuerst auf ein Welsberg im Pustertale hingewiesen zu haben, der aber den
Straßenzug durch das Gebirge, wie ihn die alte Karte für Dürers Zeiten nachweist, nicht kannte, sprach damals die Ver-
mutung aus, daß der junge Künstler, um die Werke des Michael Pacher, eines geborenen Bruneckers, kennen zu lernen,
nur einen Ausflug ins Pustertal unternommen habe. Das wäre für die damaligen Verhältnisse wohl ein allzu zeitraubendes
Opfer gewesen. [Erst nach Fertigstellung dieses Aufsatzes finde ich im letzten Hefte des Repertoriums für Kunstwissen-
schaft: Die deutsche Kunst und die Handelsstraßen im Mittelalter, S. 384, daß auch Haendcke inzwischen auf einem anderen
Wege zur Kenntnis dieses Straßenzuges gelangt ist.] Die Nachprüfung, ob Dürers Ansicht von Welsberg mit dem gleich-
namigen Orte Welsberg vereinbar sei, ergibt eine ziemliche Übereinstimmung zwischen beiden. Herrn Jos. Ragginer, Pfarrer
in Welsberg, verdanke ich die Vergleichung in natura sowie die Zusendung geeigneter neuerer Ansichten. Auch die Terrain-
verhältnisse der Zeichnung stimmen mit jenen der Generalstabskarte ziemlich zusammen. Als Hauptcharakteristikum für den
Ort muß das alte Schloß Welsberg mit dem ungewöhnlich hohen Berchfrit gelten. Ihm gegenüber liegt das Schloß Turn,
das seit 1359 gleichfalls den Grafen von Welsberg gehörte, und dazwischen das Gsießtal; gegen links die verschwindenden
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Als Dürer einige Jahre später den Stich Herkules (B. 73) aus verschiedenen Vorlagen zusammen-
komponierte, schmückte er die Figur der Keulenschlägerin wieder mit Stirnband und Knotentuch, genau
so, wie wir es an der Zeichnung der klugen Jungfrau sehen (Fig. ig). Weder der italienische Kupferstich
Tod des Orpheus (P. V. 47, 120), der noch immer als indirekte Vorlage für den Herkules-Stich zitiert
wird, noch Dürers eigene Federzeichnung vom Jahre 1494 (L. 159) nach einem Mantegna-Originale1
weisen eine derartige Betonung des
Kostümlichen auf, seihst wenn er
sich bei dieser Kopie mancherlei
Umformungen erlaubt hätte (vgl.
Fig. 25). Das Knotentuch konnteer
eben nicht verwenden, weil es auf
der Mantegna-Vorlage nicht vor-
kam und weil er es im Jahre 1494,
d. h. auf seiner Hinreise und in
Venedig noch nicht kennen gelernt
hatte. Dies geschah wohl erst auf
der Rückreise durch das friaulische
Gebiet, auf der bereits erwähnten
zweiten Route überTreviso, Cone-
gliano, Cortina, Toblach, FYan-
zensfeste, wie sie auf der Glocken-
donschen Karte deutlich ange-
geben ist.
Diese Route, die für die erste
venezianische Reise noch befremd-
lich erscheinen mag, weil hier keine
anderen Gründe als die angeführ-
ten Kostümstudien aus dem Friau-
lischen erbracht werden können,
erweist sich mit voller Sicherheit
für Dürers zweite Reise vom Jahre
1505 durch die Ansicht von Wels-
berg (L. 392), einem Orte zwischen
Bruneck und Toblach,2 durch die
beiden Kopfstudien windischer
Bäuerinnen (L. 180 und 408) und durch eine Dolomitenlandschaft (L. 238); ferner durch die beiden
Kopien nach Dürerzeichnungen, die lächelnde Alte im Louvre (L. 3o6) und den Frauenkopf in Budapest
(Albertina-Publikation, Nr. 978).
Fig. 21. Skizzenblatt.
Berlin, kgl. Museen.
1 Beide abgebildet bei Ephrussi, Dürer, p. 21 und 24.
2 Haendcke, dem das Verdienst zufällt, zuerst auf ein Welsberg im Pustertale hingewiesen zu haben, der aber den
Straßenzug durch das Gebirge, wie ihn die alte Karte für Dürers Zeiten nachweist, nicht kannte, sprach damals die Ver-
mutung aus, daß der junge Künstler, um die Werke des Michael Pacher, eines geborenen Bruneckers, kennen zu lernen,
nur einen Ausflug ins Pustertal unternommen habe. Das wäre für die damaligen Verhältnisse wohl ein allzu zeitraubendes
Opfer gewesen. [Erst nach Fertigstellung dieses Aufsatzes finde ich im letzten Hefte des Repertoriums für Kunstwissen-
schaft: Die deutsche Kunst und die Handelsstraßen im Mittelalter, S. 384, daß auch Haendcke inzwischen auf einem anderen
Wege zur Kenntnis dieses Straßenzuges gelangt ist.] Die Nachprüfung, ob Dürers Ansicht von Welsberg mit dem gleich-
namigen Orte Welsberg vereinbar sei, ergibt eine ziemliche Übereinstimmung zwischen beiden. Herrn Jos. Ragginer, Pfarrer
in Welsberg, verdanke ich die Vergleichung in natura sowie die Zusendung geeigneter neuerer Ansichten. Auch die Terrain-
verhältnisse der Zeichnung stimmen mit jenen der Generalstabskarte ziemlich zusammen. Als Hauptcharakteristikum für den
Ort muß das alte Schloß Welsberg mit dem ungewöhnlich hohen Berchfrit gelten. Ihm gegenüber liegt das Schloß Turn,
das seit 1359 gleichfalls den Grafen von Welsberg gehörte, und dazwischen das Gsießtal; gegen links die verschwindenden
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