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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 30.1911-1912

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I. Teil: Abhandlungen
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Meder, Joseph: Neue Beiträge zur Dürer-Forschung
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https://doi.org/10.11588/diglit.6177#0234
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Joseph Meder.

augusta (L. 38g) oder selbst noch in jenen späteren Zeichnungen aus den Jahren 1514, 1515 und 1516
(L. 194, ig5, 3g8). Wir fragen vergeblich, was der an einen Baum gefesselte, der sich Bückende, der
Hockende, die megärenhafte Alte und die dicke Junge in ihrem Zusammenhange bedeuten (L. 195).

Es wäre ein Irrtum, wollte man diese Kompositionsweise als eine spezifisch Dürerische bezeichnen.
Auch in Oberitalien finden sich vereinzelte Zeichnungen und Stiche mit einer derartigen Anhäufung
antiker Elemente. Man entlehnte aus verschiedenen Sarkophagreliefs allerlei Stand- und Bewegungs-
motive, schuf aus Einzelstudien wirr zusammengetragene Allegorien, versah sie mit rätselhaften In-
schriften und freute sich kindlich an diesen abenteuerlichen Schöpfungen.1

Insbesondere waren es Mantegnas Zeichnungen, die im Venezianischen für Maler und Stecher eine
Fülle von Anregungen und Veranlassung zu neuen reliefartigen Kompositionen gaben, die, wie Kristeller
nachgewiesen hat, meist eine dekorative Bestimmung und Verwendung hatten. Er führt an derselben
Stelle eine in Chiaroscuro mit Gold gehöhte Allegorie des Mantuaners Lorenzo Leonbruno an (Samm-
lung Rey-Spitzer in Paris), die fast vollständig aus Gestalten von Mantegnas Zeichnungen zusammen-
gesetzt ist.2 In einer Berliner Agostino Busti-Zeichnung ist die linke Figur der Londoner Mantegna-
Zeichnung: Mars, Venus und Diana entlehnt.3 Derartige Beispiele ließen sich noch reichlich vermehren.

Diese Kompositionsweise mochte auch Dürer in Venedig erlernt haben; er griff sie frisch auf und
überraschte mit seinen neuen Schöpfungen das noch rein religiös-gotisch empfindende Deutschland.

Bei dem Herkulesstich (B. 73) ist durch das Aufdecken der Kompositionselemente der Einblick in
diese Schaffensweise schon längst klar geworden. Weniger klar erscheint uns die liegen gebliebene Stich-
vorlage, genannt Pupilla augusta in Windsor (L. 38g: Fig. 23), die sich als ein Musterbeispiel für diese
antikischen Gebilde aufdrängt und immer zu neuen Lösungsversuchen auffordert.4 Diese Zeichnung ist
nicht durch einen einheitlichen Entwurf zustande gekommen, sondern setzt andere Vorzeichnungen
voraus, die hier, wie es die Hauptfiguren erkennen lassen, einfach in die Zeichnung hineingepaust wur-
den. Die bestimmten reinen Konturen ohne Pentimente weisen wenigstens darauf hin. Drei Frauen
im Vordergrunde, teils hockend, teils liegend, die Venus auf dem Delphin im Mittelgrunde bilden neben
der Landschaft, die gleichfalls aus verschiedenen Bestandteilen besteht, den Hauptinhalt.

An der Art und Weise, wie jedes einzelne der Weiber eine ausgesuchte Stellung einnimmt und
mit der Rechten eine starke Geste markiert, die auf das Ganze wenig Bezug nimmt, erkennen wir, daß
es zusammengetragene und umgestaltete Teile sein müssen. Die auf dem Delphin mit zwei Begleite-
rinnen daherrauschende Venus ist bereits als eine Entlehnung aus einem Niello des Pellegrino (Dutuit 6g3)
festgestellt worden. Die ganz im Vordergrunde sitzende nackte Gestalt, welche die Vermutung erweckt,
als sähe sie dem Spiele des Amor mit dem Hasen zu oder gar, als wollte sie ihn haschen, zeigt gleichfalls
in ihrem Bewegungsmotiv das italienisch Fremdartige. Sie wurde auch anderweitig benützt, denn sie
erscheint auch bei dem unter venezianischem Einfluß stehenden Girolamo Mozetto als männliche Figur
in einem Stiche (P. V, 137, 12), der gleichfalls von jeher ein ganzes Nest von Rätseln bildete und ein
chaotisches Zusammensetzen antiker Formen zur Voraussetzung hat (Fig. 24). Hier hält die ausgestreckte
Rechte eine Doppelflöte; aber es ist kein festes Ergreifen, die Flöte erscheint nur wie von dem Stecher
hinzugezeichnet. Dürer schöpfte jedenfalls wieder aus einer Zeichnung eines italienischen Meisters — wahr-

1 Ich verweise hier auf die besonders charakteristische sogenannte Lunus-Darstellung des Stechers P. P. (J. Hofmann,
Die Kupferstiche des Meisters PP, Taf. IV), auf den bereits zitierten Holzschnitt des Meisters Jakob von Straßburg, auf den
Stich G. Mozettos (P. V, 137, 12), auf eine Federzeichnung des Agostino Busti aus dem Skizzenbuch in Berlin (Handzeich-
nungen-Publikation Nr. 61).

2 Kristeller, Zwei dekorative Gemälde Mantegnas in der Wiener kaiserlichen Galerie, in diesem Jahrbuch XXX, S. 47.

3 Zeichnungen alter Meister, Berlin, Bd. I, Nr. 61.

4 Wölfflin (a. a. O., 2. Aufl., Anhang, S. 369) meint, der in allen Figuren sichtbare Gestus der rechten Hand spreche
gegen die Annahme einer Stichvorlage. Allein nicht bloß das umgekehrte Monogramm — in einer Zeichnung! — und
die ebenso, wenn auch später, hineingesetzten Worte «Pupilla augusta» sondern auch die technische Art der Ausführung
zeigen deutlich den Zweck der Zeichnung. Dürer arbeitete sie wie zur Vorübung auf der Kupferplatte aus dem Hintergrunde
heraus, — so wie wir es bei den Probedrucken von Adam und Eva sehen — um die Ton- und Helligkeitswerte richtig
abzustufen. Auch die reinlich aufgepausten Konturen bestätigen die sonst allgemein anerkannte Anschauung, daß es sich um
eine Kupferstichzeichnung handelt. Ihre Entstehung wird heute allgemein um 1500 angesetzt.
 
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