236
Emil Reicke.
trotzig-starren, fast ein wenig Furcht erregenden Blick des Dürerschen Stichs, der auch in der etwas
höckerigen Nase, in der Form der Augen, insbesondere der schweren Augendeckel beachtenswerte Ab-
Es lag nahe, sich nach anderen zweifellos echten Pirckheimerporträten umzuschauen. Leider
kommen wir dabei vielleicht mit einer einzigen Ausnahme immer wieder auf Dürer zurück, während
es doch für uns gerade lehrreich wäre, den Zügen Pirckheimers in der Auffassung eines anderen Malers
zu begegnen. Denn daß Dürer, wie wohl alle großen Porträtmaler, etwas sehr Subjektives an sich hatte,
unterliegt keinem Zweifel.1 Welch energische, fast wildblickende Augen macht sein Melanchthon auf
in denen ohne vorherige Kenntnis oft niemand die darauf dargestellten Personen auch nur vermuten würde.
Porträte Pirckheimers aus seinen besten Mannesjahren sind uns in zwei Handzeichnungen Dürers
erhalten, deren eine (Fig. 4), eine Kohlezeichnung, datiert vom Jahre 1503, sich früher in der Samm-
lung Dumesnil in Paris befand,2 die andere (Fig. 5), mit Silberstift gezeichnet, früher in der Samm-
lung Hausmann in Braunschweig, ungefähr derselben Zeit angehören mag.3 Beide Köpfe sind sich auch
in den Äußerlichkeiten sehr ähnlich. Für uns ist besonders interessant, daß Pirckheimer auf beiden
Zeichnungen nach damaliger Sitte das Haar mit einem Netz bedeckt trägt, daß er also seine Haartracht
gewechselt hat. Im übrigen ist es auffallend, daß er schon damals, als 33 jähriger, den starken, massi-
gen und gedrungenen Hals, dasselbe Doppelkinn zeigt wie später als Mann von 53 Jahren. Da noch
die höckerige Nase, die wulstige Unterlippe, das hervorquellende, scharf durchdringende Auge dazu-
kommen, so werden wir gestehen müssen, daß sehr viel Ähnlichkeit zwischen diesen beiden Zeichnun-
gen und dem Kupferstich, aber nur eine ganz geringe mit unseren Ölbildern besteht. Wie übrigens Thau-
1 Allerdings darf nicht verschwiegen werden, daß in einem noch ungedruckten Briefe vom 10. (11.) Jänner 1525
(Pirckheimer-Papiere der Nürnberger Stadtbibliothek, Nr. 466, ig) der Humanist Jakob Montanus, damals im Hause der Brüder
vom gemeinsamen Leben in Herford tätig, an Pirckheimer, der ihm sein Bild, worunter nur der Dürersche Kupferstich ver-
standen werden kann, zugeschickt hatte, ausdrücklich schreibt: «Aiunt, qui te viderunt, probe exscriptam (sc. effigiem)
nec ab archctypo manum artißcis aberrasse.»
2 Jetzt im kgl. Kupferstichkabinett in Berlin: Lippmann, Handzeichnungen Dürers, Nr. 3y6.
3 Lippmann, Nr. 142. Nach ihm befand sich die Zeichnung damals (1888) in der Sammlung des Dr. Rud. Blasius
in Braunschweig.
weichungen von den Gesichtszügen des Ölbildes bietet.
Fig. 6. Dürer und Pirckheimer auf dem Rosenkranzfest (1506).
dem Kupferstich von 1526,
verglichen mit der sanften,
stillen Gelehrtenphysiogno-
mie, die wir bei Lukas Kra-
nach, aber auch noch bei
Holbein finden. Man ver-
gleiche auch die Züge Fried-
richs des Weisen, wenn die-
ser es nämlich ist, gemalt
zwischen 1495 und 1498 von
Dürer, mit desselben Mei-
sters späterem Kupferstich,
von dem Gemälde Kra-
nachs gar nicht zu reden —
um zu erkennen, daß Dürer
eine und dieselbe Person zu
verschiedenen Zeiten sehr
verschieden aufgefaßt hat.
Aus neuerer Zeit sei an die
vielen Bildnisse Goethes oder
der Königin Luise erinnert,
Emil Reicke.
trotzig-starren, fast ein wenig Furcht erregenden Blick des Dürerschen Stichs, der auch in der etwas
höckerigen Nase, in der Form der Augen, insbesondere der schweren Augendeckel beachtenswerte Ab-
Es lag nahe, sich nach anderen zweifellos echten Pirckheimerporträten umzuschauen. Leider
kommen wir dabei vielleicht mit einer einzigen Ausnahme immer wieder auf Dürer zurück, während
es doch für uns gerade lehrreich wäre, den Zügen Pirckheimers in der Auffassung eines anderen Malers
zu begegnen. Denn daß Dürer, wie wohl alle großen Porträtmaler, etwas sehr Subjektives an sich hatte,
unterliegt keinem Zweifel.1 Welch energische, fast wildblickende Augen macht sein Melanchthon auf
in denen ohne vorherige Kenntnis oft niemand die darauf dargestellten Personen auch nur vermuten würde.
Porträte Pirckheimers aus seinen besten Mannesjahren sind uns in zwei Handzeichnungen Dürers
erhalten, deren eine (Fig. 4), eine Kohlezeichnung, datiert vom Jahre 1503, sich früher in der Samm-
lung Dumesnil in Paris befand,2 die andere (Fig. 5), mit Silberstift gezeichnet, früher in der Samm-
lung Hausmann in Braunschweig, ungefähr derselben Zeit angehören mag.3 Beide Köpfe sind sich auch
in den Äußerlichkeiten sehr ähnlich. Für uns ist besonders interessant, daß Pirckheimer auf beiden
Zeichnungen nach damaliger Sitte das Haar mit einem Netz bedeckt trägt, daß er also seine Haartracht
gewechselt hat. Im übrigen ist es auffallend, daß er schon damals, als 33 jähriger, den starken, massi-
gen und gedrungenen Hals, dasselbe Doppelkinn zeigt wie später als Mann von 53 Jahren. Da noch
die höckerige Nase, die wulstige Unterlippe, das hervorquellende, scharf durchdringende Auge dazu-
kommen, so werden wir gestehen müssen, daß sehr viel Ähnlichkeit zwischen diesen beiden Zeichnun-
gen und dem Kupferstich, aber nur eine ganz geringe mit unseren Ölbildern besteht. Wie übrigens Thau-
1 Allerdings darf nicht verschwiegen werden, daß in einem noch ungedruckten Briefe vom 10. (11.) Jänner 1525
(Pirckheimer-Papiere der Nürnberger Stadtbibliothek, Nr. 466, ig) der Humanist Jakob Montanus, damals im Hause der Brüder
vom gemeinsamen Leben in Herford tätig, an Pirckheimer, der ihm sein Bild, worunter nur der Dürersche Kupferstich ver-
standen werden kann, zugeschickt hatte, ausdrücklich schreibt: «Aiunt, qui te viderunt, probe exscriptam (sc. effigiem)
nec ab archctypo manum artißcis aberrasse.»
2 Jetzt im kgl. Kupferstichkabinett in Berlin: Lippmann, Handzeichnungen Dürers, Nr. 3y6.
3 Lippmann, Nr. 142. Nach ihm befand sich die Zeichnung damals (1888) in der Sammlung des Dr. Rud. Blasius
in Braunschweig.
weichungen von den Gesichtszügen des Ölbildes bietet.
Fig. 6. Dürer und Pirckheimer auf dem Rosenkranzfest (1506).
dem Kupferstich von 1526,
verglichen mit der sanften,
stillen Gelehrtenphysiogno-
mie, die wir bei Lukas Kra-
nach, aber auch noch bei
Holbein finden. Man ver-
gleiche auch die Züge Fried-
richs des Weisen, wenn die-
ser es nämlich ist, gemalt
zwischen 1495 und 1498 von
Dürer, mit desselben Mei-
sters späterem Kupferstich,
von dem Gemälde Kra-
nachs gar nicht zu reden —
um zu erkennen, daß Dürer
eine und dieselbe Person zu
verschiedenen Zeiten sehr
verschieden aufgefaßt hat.
Aus neuerer Zeit sei an die
vielen Bildnisse Goethes oder
der Königin Luise erinnert,