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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 30.1911-1912

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I. Teil: Abhandlungen
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Haberditzl, Franz Martin: Studien über Rubens
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https://doi.org/10.11588/diglit.6177#0278
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2ÖO

F. M. Haberditzl.

liehe Kraft der Konzeption kaum mehr deutlich erkennbar ist. Dieser Umstand muß berücksichtigt
werden, wenn als Modellstudie für den Rückenakt des genannten Knechtes eine vorzüglich erhaltene
Kohlezeichnung in der Oxford-Sammlung (Taf. XXV) identifiziert werden soll. Die Zeichnung ist bereits
reproduziert1 und als Studie («in the most powerful and brilliant manner of the master») für die
Mittelfigur des Knechtes auf der berühmten Kreuzaufrichtung der Antwerpner Kathedrale bezeichnet

worden. Es sind uns bisher keine Ori-
ginalzeichnungen des Rubens als Studien
früher Gemälde der italienischen Zeit be-
kannt gemacht worden; eine Chronologie
des reichen Handzeichnungenmaterials ist
ja so gut wie gar nicht versucht worden.
Die virtuose Technik des Blattes mag zu-
nächst befremden; entscheidend ist, da
uns Analogien im gleichen Material aus
so früher Zeit nicht bekannt sind, die
Priorität und zum Teile der höhere Grad
der Ubereinstimmung mit der Figur im
Grasser Bilde im Vergleiche mit derselben
Gestalt der Antwerpner Kreuzaufrichtung.
Trotz der eminent plastischen Wirkung
der Zeichnung beherrscht der Künstler die
zeichnerischen Mittel nicht mit jener Öko-
nomie, die uns auf seinen bekannten Blät-
tern z. B. aus dem zweiten Jahrzehnt des
XVII. Jahrhunderts in Erstaunen setzt; es
ist mir aus späterer Zeit auch keine Zeich-
nung in dieser oder ähnlicher Technik be-
kannt, die Versuche und Korrekturen auf-
weist wie das in Frage stehende Blatt,
auf dem das verlorene Profil der Aktfigur
dreimal ansetzt. Wenn man sich in das
Studium Rubensscher Zeichnungen ver-
tieft, fällt zunächst jene virtuose Bravour
auf, die sofort den richtigen Kontur erfaßt,
die mit ihrer Darstellung so haushält, daß
nur jene Teile des Körpers oder Gewandes,
die im Gemälde sichtbar sind, auf der
Zeichnung figurieren.

Auf dem Grasser Bilde sind alle drei Fassungen des genannten Profils verworfen, der Kopf ist
ganz in die Bildfläche hineingekehrt; verändert ist der linke nach oben gewendete Arm, der auf dem
Gemälde durch das Tuch verdeckt wird. Im übrigen ist Stellung und Haltung völlig identisch
ins Bild übertragen.

Schließlich kann uns vielleicht das Vorhandensein der Zeichnung selbst die begründetste Er-
klärung geben, daß die Rückenfigur der Antwerpner Kreuzaufrichtung mit der Gestalt auf dem Grasser
Bilde so eng übereinstimmt, während im übrigen Aufbau der Darstellung nur allgemeinere Reminis-
zenzen vorhanden sind. Aber auch da hat Rubens die Zeichnung nicht tale quäle übernommen; Kopf
und Hals sind verändert, die ganze Gestalt erscheint muskelstärker und klarer in der körperlichen

Fig. 2. Rubens, Die Kreuzaufrichtur.g.
Grasse, Kapelle des Hospitals.

1 Publikation der Oxford-Sammlung: Rubens, Study of the torso of a man.
 
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