Studien über Rubens.
28l
Fig. 18. Umrißreproduktion
einer Ceresstatue, nach Clarac.
statutarische Haltung wird nur —
im Sinne der italienischen Kunst-
auffassung — in eine äußerlich
wie innerlich fast beziehungslose
Adorationsstellung umgewandelt.
Der Grad der Verlebendigung wird
wesentlich gesteigert, wenn die Ge-
stalten untereinander in körper-
liche und geistige Beziehung tre-
ten. Die Problemstellung in sol-
cher Konsequenz ist ein virtuoses
Kunststück, eine Bravourleistung
der künstlerischen Phantasie, ihrem
Wesen nach ein Ausklang des Re-
naissancegedankens überhaupt. —
Als Rubens am Beginn der zwan-
ziger Jahre des XVII. Jahrhunderts
den Auftrag erhielt, die Galerie der
Königin Maria von Medici zu ma-
len, war hiefür ein umfangreiches
literarisches Programm ausgearbei-
tet worden. Die wichtigsten Er-
eignisse aus dem Leben der Köni-
gin sollten, dem Geschmacke der
Zeit entsprechend, symbolisch und
allegorisch verherrlicht werden,
der antiken Formenwelt zu ersetzen. Durch die vielfache Verwendung der Antiken erhält das Gesamt-
niveau der Darstellung eine fast unpersönliche, objektive und abgeschlossene
Wirkung, wodurch Rubens zugleich der gewollten
Würde des hohen Repräsentationsbildes die richtige
Folie geben konnte. Diese «Komposition antiker Fi-
guren» möge an zwei Beispielen aus dem Zyklus illu-
striert werden. Großmann nennt das achte Bild der
Reihe, «die Geburt Ludwigs XIII. in Fontainebleau»,
die poetische Verklärung einer Wochenstube, deren
Komposition eine freie Umbildung einer «sacra Con-
versazione»: die sitzende Königin als Dominante der
Gruppe, die anderen Gestalten umstehen sie, ruhig in
der Körperhaltung, kaum durch leise Aktion in wechsel-
seitigem Konnex (Fig. 21). Die abgeklärte Ruhe der
Darstellung, die an ein Verehrungsbild der Renaissance
gemahnt, erreichte der Künstler jedoch nicht in der
Übernahme eines Vorbildes der Renaissancemalerei, er
findet die Lösung aufs neue. Diese wichtige Tatsache
wird offenbar, wenn wir die Kompositionselemente
näher betrachten. Großmann weist darauf hin, daß die Frauengestalt hinter der Königin die Götter-
mutter darstellt und daß es nahe läge, an ein plastisches Vorbild zu denken, das dem Künstler in der
1 In der eindringlichen Abhandlung «Der Gemäldezyklus der Galerie der Maria von Medici von Peter Paul Rubens»:
Zur Kunstgeschichte des Auslandes, Heft 45, Straßburg 1906.
XXX. 39
Die Aufgabe mochte für Rubens
etwas Verlockendes haben, wenn
wir bedenken, daß sein lebendiges
Temperament von allem Anbeginn
der allegorisch-symbolischen Pro-
grammmalerei seiner Zeit glück-
lich entronnen war; seine Art war
es, als echter Künstler, von einer
Bilderscheinung, einer gegenständ-
lichen Vorstellung, nicht von einer
literarischen Idee auszugehen. Den
Zwang des gegebenen Programms
löste Rubens in eigenartigerweise.
Es ist kein Zufall, daß in dem
Zyklus eine Reihe antiker Figuren
lebendig in Erscheinung tritt. Goe-
ler hat auf den Apollo auf der
«Regierung» hingewiesen, in neue-
ster Zeit wurden durch Karl Groß-
mann 1 einige antike Vorlagen ein-
zelner Figuren bestimmt. Doch
weit mehr, als durch die beiden
Forscher festgestellt wurde, be-
mühte sich die Phantasie des Ma-
lers, die symbolische Spekulation
durch die idealen Verkörperungen
Fig. 19. Knabe mit der Gans.
Fig. 20. Umrißreproduktion
eines antiken Putto,
nach Clarac.
28l
Fig. 18. Umrißreproduktion
einer Ceresstatue, nach Clarac.
statutarische Haltung wird nur —
im Sinne der italienischen Kunst-
auffassung — in eine äußerlich
wie innerlich fast beziehungslose
Adorationsstellung umgewandelt.
Der Grad der Verlebendigung wird
wesentlich gesteigert, wenn die Ge-
stalten untereinander in körper-
liche und geistige Beziehung tre-
ten. Die Problemstellung in sol-
cher Konsequenz ist ein virtuoses
Kunststück, eine Bravourleistung
der künstlerischen Phantasie, ihrem
Wesen nach ein Ausklang des Re-
naissancegedankens überhaupt. —
Als Rubens am Beginn der zwan-
ziger Jahre des XVII. Jahrhunderts
den Auftrag erhielt, die Galerie der
Königin Maria von Medici zu ma-
len, war hiefür ein umfangreiches
literarisches Programm ausgearbei-
tet worden. Die wichtigsten Er-
eignisse aus dem Leben der Köni-
gin sollten, dem Geschmacke der
Zeit entsprechend, symbolisch und
allegorisch verherrlicht werden,
der antiken Formenwelt zu ersetzen. Durch die vielfache Verwendung der Antiken erhält das Gesamt-
niveau der Darstellung eine fast unpersönliche, objektive und abgeschlossene
Wirkung, wodurch Rubens zugleich der gewollten
Würde des hohen Repräsentationsbildes die richtige
Folie geben konnte. Diese «Komposition antiker Fi-
guren» möge an zwei Beispielen aus dem Zyklus illu-
striert werden. Großmann nennt das achte Bild der
Reihe, «die Geburt Ludwigs XIII. in Fontainebleau»,
die poetische Verklärung einer Wochenstube, deren
Komposition eine freie Umbildung einer «sacra Con-
versazione»: die sitzende Königin als Dominante der
Gruppe, die anderen Gestalten umstehen sie, ruhig in
der Körperhaltung, kaum durch leise Aktion in wechsel-
seitigem Konnex (Fig. 21). Die abgeklärte Ruhe der
Darstellung, die an ein Verehrungsbild der Renaissance
gemahnt, erreichte der Künstler jedoch nicht in der
Übernahme eines Vorbildes der Renaissancemalerei, er
findet die Lösung aufs neue. Diese wichtige Tatsache
wird offenbar, wenn wir die Kompositionselemente
näher betrachten. Großmann weist darauf hin, daß die Frauengestalt hinter der Königin die Götter-
mutter darstellt und daß es nahe läge, an ein plastisches Vorbild zu denken, das dem Künstler in der
1 In der eindringlichen Abhandlung «Der Gemäldezyklus der Galerie der Maria von Medici von Peter Paul Rubens»:
Zur Kunstgeschichte des Auslandes, Heft 45, Straßburg 1906.
XXX. 39
Die Aufgabe mochte für Rubens
etwas Verlockendes haben, wenn
wir bedenken, daß sein lebendiges
Temperament von allem Anbeginn
der allegorisch-symbolischen Pro-
grammmalerei seiner Zeit glück-
lich entronnen war; seine Art war
es, als echter Künstler, von einer
Bilderscheinung, einer gegenständ-
lichen Vorstellung, nicht von einer
literarischen Idee auszugehen. Den
Zwang des gegebenen Programms
löste Rubens in eigenartigerweise.
Es ist kein Zufall, daß in dem
Zyklus eine Reihe antiker Figuren
lebendig in Erscheinung tritt. Goe-
ler hat auf den Apollo auf der
«Regierung» hingewiesen, in neue-
ster Zeit wurden durch Karl Groß-
mann 1 einige antike Vorlagen ein-
zelner Figuren bestimmt. Doch
weit mehr, als durch die beiden
Forscher festgestellt wurde, be-
mühte sich die Phantasie des Ma-
lers, die symbolische Spekulation
durch die idealen Verkörperungen
Fig. 19. Knabe mit der Gans.
Fig. 20. Umrißreproduktion
eines antiken Putto,
nach Clarac.