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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 32.1915

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Giehlow, Karl; Weixlgärtner, Arpad: Die Hieroglyphenkunde des Humanismus in der Allegorie der Renaissance: besonders der Ehrenpforte Kaisers Maximilian I. Ein Versuch
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https://doi.org/10.11588/diglit.6174#0032
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Karl Giehlow.

und überboten. Hier gab es eine Geographie Aegyptens mit seinem wunderbaren Strom, eine Er-
klärung der merkwürdigen Nilschwellung zur Sommerszeit und eine Beschreibung der dieses Land be-
lebenden wirklichen oder fabelhaften Thiere. Es erschloss sich ein Einblick in das Innere Afrikas mit
seinen äthiopischen Völkern. Dann fanden sich die Berichte über das Alter der Aegypter vom An-
beginn der Welt, ihre Einwanderung aus Aethiopien unter Führung des als Gott verehrten Königs
Osiris und dessen Siegeszug durch die ganze Welt bis nach Indien, zu den Quellen des Ister und zum
Ocean. Diodor gibt bei dieser Gelegenheit sogar den Wortlaut der Inschriften, die sich auf den Säulen
zu Ehren dieses Königs und seiner Gemahlin Isis zu Nysa in Arabien befinden sollten.1 Mit demselben
gläubigen Staunen mochten dies die Humanisten lesen wie die Schilderungen der Thaten des Königs
Sesostris. Auch dieser errichtete nach Diodor Säulen mit Epigrammen ägyptischer, sogenannter heiliger
Schrift, wohin er kam, bis nach Thracien. Eingehend verweilt Diodor bei der Architektur und Sculptur
der Aegypter, bei den Obelisken Thebens und den Pyramiden als Königsgräbern. Mit diesen Wunder-
bauten standen die Aegypter aber nicht allein da; wie Diodor an anderer Stelle berichtet, Hess auch
Semiramis einen Riesenobelisken nach Babylon schaffen und die Sacerkönigin Zarina erbaute sich eine
ungeheure, dreieckige Pyramide. Die Nachrichten über die Theologie der Aegypter waren schon durch
Eusebius, der hier den Diodor benützt, bekannt geworden; die Uebersetzung des Originales ergänzte
sie durch Berichte über die Sitten und Gebräuche, besonders die Priesterverfassung und die umfassende
priesterliche Gelehrsamkeit, welche von Orpheus' Zeiten an die grössten griechischen Philosophen
heranzog. Von ihrer ausdrücklich als Hieroglyphen bezeichneten Schrift, welche Poggio stets mit
»sacrae litterae« übersetzt, spricht Diodor bei Gelegenheit der Erfindungen, welche die Aegypter als
Colonen der Aethiopier von diesen in ihre neue Heimat nahmen. Diese, von den Aethiopiern allgemein
geschrieben, wäre bei den Aegyptern zu einer heiligen Schrift geworden, welche die Priester allein pri-
vatim von ihren Eltern lernten, während das übrige Volk seine besondere Schrift gebrauchte. Ueber die
Gestalt und das Wesen dieser äthiopischen oder hieroglyphischen Schrift lässt sich dann Diodor nach
Poggios Uebersetzung folgendermassen aus: »Sunt Aegyptiorum litterae variis animalibus extremitati-
busque hominum atque instrumentis sed praecipue artificum persimiles. Non syllabarum compositione
aut litteris verba eorum exprimuntur, sed imaginum forma earum significatione usu memoriae homi-
num tradita«. Demnach bezeichnet ein Falke oder Sperber ein rasches Geschehen, weil die diesen Vogel
vor allen anderen auszeichnende Schnelligkeit auf alle Sachen übertragen wird, die schnell vor sich
gehen; ein Krokodil das Uebel, ein Auge den Hüter der Gerechtigkeit und den Wächter des gesamm-
ten Körpers; die offene Rechte Freigebigkeit und die geschlossene Linke den Geiz. In derselben
Weise bedeuten auch die übrigen Körpertheile und die Werkzeuge stets etwas Bestimmtes, das die
Aegypter gedächtnismässig oder im Wege der Meditation dem anzudeutenden Gegenstande zu entnehmen
pflegten.2

Bei seiner ganzen Geschichtsdarstellung, über welche die moderne Forschung wesentlich anders
als der Humanismus denkt, polemisirt Diodor oft gegen Herodot und bezeichnet seine Angaben geradezu
als Fabeln. Das war wieder nach dem Geschmack des vorhingeschilderten humanistischen National-
gefühls und ebenso geeignet, den Werth der Arbeit des Siciliers als eines griechisch schreibenden
Landsmannes zu erhöhen, wie die des Herodot herabzusetzen. Lange sollte die Verkennung dieses
grossen Griechen dauern; noch Aldus sieht sich veranlasst, die Wahrheitsliebe dieses Historikers zu
verfechten.3 In den hieroglyphischen Studien des XV. Jahrhunderts spielt daher Diodor die grössere
Rolle, obwohl Valla die Uebersetzung des Herodot bald nach dem 1455 erfolgten Tode Nicolaus V.

1 Die Inschrift des Osiris beginnt: »Mihi pater Saturnus, deorum omnium junior. Sum vero Osiris rex, qui Universum pera-
gravi orbem..., neque ullus est in orbe, ad quem non accesserim locus, docens omnes ea, quorum inventor fui. — Haec tanrum in
columnis legi posse affirmant, alia quae plurima sunt, tempore esse corrupta; de his sane, quae in sepulchris exstant, consentiunt
fere omnes. Nam quae sacerdotes condita in arcanis habent, nolunt, ut veritas ignota sit, ad multos manare, poena iis adjecta
qui ea vulgus proderent«. Vgl. die hier benützte Ausgabe Venetiis 1496 per Magistrum Joannem de Cereto, Uber 1, p. VI.

2 Bei Poggio im üb. IV.

3 Vgl. Firmin Didot, Aide Manuce et l'Hellenisme ä Venise (Paris 1875), p. 218. Ueber Vallas Uebersetzung vgl.
Voigt, a. a. O., Bd. II, S. 185.
 
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