STUDIEN ZUR GESCHICHTE DER NIEDERLÄNDISCHEN
MINIATURMALEREI DES XV. UND XVI. JAHRHUNDERTS.
Von
Friedrich Winkler.
L Die Künstler des Gebetbuches Karls des Kühnen (Cod. 1857
der k. k. Hofbibliothek) und ihre Werke.
Meister A, W. Vrelant, Philippe de Mazerolles (Meister E).
einem für Karl den Kühnen angefertigten identisch sei, noch nicht endgültig entschieden war. Daß
die Handschrift Miniaturen enthält, die zu den bedeutendsten Hervorbringungen des XV. Jahr-
hunderts zählen, die den Vergleich mit Malern wie Goes, ßouts oder Memling nicht zu scheuen
brauchen und die eine so hervorragende Handschrift wie den Girard de Roussillon der Wiener
Bibliothek an künstlerischem Wert noch übertreffen, — von der bekannten Chronik von Jerusalem
oder dem «Hortulus animae» ganz abgesehen — das ist noch nirgends zum Ausdruck gekommen.
Und doch gibt es wenig Werke der niederländischen Miniaturmalerei, denen innerhalb der Ent-
wicklung dieses Kunstzweiges, ja innerhalb der Entwicklung der Tafelmalerei jener Zeit eine so
hervorragende Bedeutung zukommt wie einigen Bildern dieser Handschrift.
Die Literatur über unser Gebetbuch ist auf das engste mit James Weales Namen verknüpft,
der — wie so oft — den Anstoß zur näheren Untersuchung gab.
Nach einer von Weale1 veröffentlichten Rechnung kaufte der Magistrat zu Brügge von dem
Brügger Bürger Marc le Bongeteur ein Gebetbuch mit goldenen und silbernen Lettern auf schwarzem
Pergament. Im Februar des Jahres 1466 machte der Magistrat das angekaufte Gebetbuch dem
Grafen von Charolais, dem späteren Karl dem Kühnen, zum Geschenke. Dieser, unbekümmert
darum, daß es ein Geschenk, ein Zeichen der Ergebenheit war, gab es seinem Hofminiaturisten
Philippe de Mazerolles, damit er den Schmuck vervollständige. Nicht genug damit, bezahlten die
Schenker die ziemlich beträchtliche Summe dafür.
Gelingt es also, dieses Gebetbuch wieder aufzufinden, so lernen wir ein — vermutlich Brügger
_ Gebetbuch mit vor 1466 entstandenen Werken und den Hofminiaturisten Philippe de Mazerolles
n der Geschichte der niederländischen Malerei spielt das Gebetbuch 1857 nicht
die Rolle, die ihm zukommt. Zu den vorzüglichsten Schätzen der Hofbiblio-
thek zählend, ist ihm nicht in dem Maße Beachtung geschenkt worden wie
mancher kostbaren Handschrift des I. Jahrtausends, der Wenzelsbibel, den
Reneehandschriften oder einigen Erzeugnissen der Brügger Malerei um 1500.
Die wenigen Forscher, die sich mit der Handschrift beschäftigt haben, brachten
ihr nur deshalb ihr Interesse entgegen, weil die Frage, ob das Gebetbuch mit
1 Le Beffroi IV, 115.
XXXII.
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MINIATURMALEREI DES XV. UND XVI. JAHRHUNDERTS.
Von
Friedrich Winkler.
L Die Künstler des Gebetbuches Karls des Kühnen (Cod. 1857
der k. k. Hofbibliothek) und ihre Werke.
Meister A, W. Vrelant, Philippe de Mazerolles (Meister E).
einem für Karl den Kühnen angefertigten identisch sei, noch nicht endgültig entschieden war. Daß
die Handschrift Miniaturen enthält, die zu den bedeutendsten Hervorbringungen des XV. Jahr-
hunderts zählen, die den Vergleich mit Malern wie Goes, ßouts oder Memling nicht zu scheuen
brauchen und die eine so hervorragende Handschrift wie den Girard de Roussillon der Wiener
Bibliothek an künstlerischem Wert noch übertreffen, — von der bekannten Chronik von Jerusalem
oder dem «Hortulus animae» ganz abgesehen — das ist noch nirgends zum Ausdruck gekommen.
Und doch gibt es wenig Werke der niederländischen Miniaturmalerei, denen innerhalb der Ent-
wicklung dieses Kunstzweiges, ja innerhalb der Entwicklung der Tafelmalerei jener Zeit eine so
hervorragende Bedeutung zukommt wie einigen Bildern dieser Handschrift.
Die Literatur über unser Gebetbuch ist auf das engste mit James Weales Namen verknüpft,
der — wie so oft — den Anstoß zur näheren Untersuchung gab.
Nach einer von Weale1 veröffentlichten Rechnung kaufte der Magistrat zu Brügge von dem
Brügger Bürger Marc le Bongeteur ein Gebetbuch mit goldenen und silbernen Lettern auf schwarzem
Pergament. Im Februar des Jahres 1466 machte der Magistrat das angekaufte Gebetbuch dem
Grafen von Charolais, dem späteren Karl dem Kühnen, zum Geschenke. Dieser, unbekümmert
darum, daß es ein Geschenk, ein Zeichen der Ergebenheit war, gab es seinem Hofminiaturisten
Philippe de Mazerolles, damit er den Schmuck vervollständige. Nicht genug damit, bezahlten die
Schenker die ziemlich beträchtliche Summe dafür.
Gelingt es also, dieses Gebetbuch wieder aufzufinden, so lernen wir ein — vermutlich Brügger
_ Gebetbuch mit vor 1466 entstandenen Werken und den Hofminiaturisten Philippe de Mazerolles
n der Geschichte der niederländischen Malerei spielt das Gebetbuch 1857 nicht
die Rolle, die ihm zukommt. Zu den vorzüglichsten Schätzen der Hofbiblio-
thek zählend, ist ihm nicht in dem Maße Beachtung geschenkt worden wie
mancher kostbaren Handschrift des I. Jahrtausends, der Wenzelsbibel, den
Reneehandschriften oder einigen Erzeugnissen der Brügger Malerei um 1500.
Die wenigen Forscher, die sich mit der Handschrift beschäftigt haben, brachten
ihr nur deshalb ihr Interesse entgegen, weil die Frage, ob das Gebetbuch mit
1 Le Beffroi IV, 115.
XXXII.
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