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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 32.1915

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Winkler, Friedrich: Studien zur Geschichte der niederländischen Miniaturmalerei des XV. und XVI. Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.6174#0315
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Studien zur Geschichte der niederländischen Miniaturmalerei des XV. und XVI. Jahrhunderts.

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gekommenen Miniaturhandschriften lassen
ebenfalls meist auf Brügge als Entstehungs-
ort schließen. Auch in unserem Gebet-
buche arbeiten, wie bei der «Histoire du
bon roi Alexandre», der Brügger Vrelant
und unser E alias Meister des Goldenen
Vließes zusammen. Am Breslauer Froissart
ist E mit dem Brügger Loyset Liedet tätig.
Durneu folgert nunmehr, daß von den in
Urkunden genannten Künstlern jener Zeit
für bedeutende Werke nur zwei in Be-
tracht kommen können: Simon Marmion
und Philippe de Mazerolles. Da sich zu
Marmions Bildern in Berlin stilistisch keine
Beziehungen finden, Marmion außerdem in
Valenciennes tätig war,1 glaubt Durrieu den
Meister des Goldenen Vließes mit dem in
Brügge ansässigen Hofminiaturisten Karls
des Kühnen, Philippe de Mazerolles, identi-
fizieren zu dürfen.

Wohl mag die Schlußfolgerung Dur-
rieus zunächst kühn erscheinen. Wissen wir
doch von Mazerolles' künstlerischer Tätig-
keit außer seinem Anteil an dem Gebet-
buch des Brügger Magistrats nichts, als
daß er 146g Meister in der Brügger Minia-
turistengilde wurde, 1475 von Karl dem Fig. 19. Paris, Collection du Ote Durrieu, Livre de prieres de
Kühnen mit einem Auftrag bedacht wurde, Charles le Temeraire.

1478 und 147g Schüler annahm und 147g

starb!2 Es kann aber nicht geleugnet werden, daß die hie und da auftauchenden Handschriften
des Meisters des Goldenen Vließes fast immer die Annahme Durrieus stützen.3 Wir haben bis
heute kein einziges Dokument, — etwa eine nach 1480 entstandene Handschrift des Meisters des
Goldenen Vließes — das der Identifikation Durrieus widerspräche. Die Stallmeisterverordnung des
Wiener Hofmuseums, deren Titelblatt wir dem Meister zuschrieben, scheint mir besonders zu-
gunsten von Durrieus Hypothese zu sprechen. Karls Stiefbruder besaß sie, Karl unterzeichnete
sie eigenhändig, seine und seiner Frau Initialen schmücken das Titelblatt, das die Überreichung
der Handschrift in Anwesenheit der Hofgesellschaft darstellt. War die Ausmalung dieses Werk-
chens nicht geradezu eine Aufgabe, die zu den ständigen Obliegenheiten eines Hofminiaturisten
gehörte? Zudem wissen wir nichts von einem zweiten Künstler jener Zeit in gleicher Stellung, auf
den all dies so trefflich passen würde. Es sei auch an den Gillion de Trasignies beim Herzog
von Devonshire erinnert, der igo8 auf der Ausstellung des Burlington Fine Arts Club bekannt
wurde. Dieses Hauptwerk des Meisters des Goldenen Vließes ist für Louis de Bruges geschaffen.

1 Abgesehen davon scheint Marmions Tätigkeit früher einzusetzen als die des Meisters des Goldenen Vließes. Nach
den Urkunden lieferte Marmion seine Hauptwerke für Philipp den Guten, für den der Meister des Goldenen Vließes nur zwei
Werke schmückte, beide nur als ergänzender Künstler. Es ist sogar möglich, daß diese Ergänzungen erst unter Karl dem
Kühnen vorgenommen wurden. "Wir können mehrfach beobachten, daß der Miniaturenschmuck einer Handschrift erst 10—15
Jahre nach Anfertigung des Textes hinzugefügt wurde.

2 Er war Franzose von Geburt. Bei seinem Tode nahm der Herzog von Burgund seine Hinterlassenschaft in Anspruch
(Weale, a. a. 0.).

3 Auch Lindner (a. a. O.), der manche neue Beobachtung bringt, schließt sich Durrieus Hypothese an.
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