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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 32.1915

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Winkler, Friedrich: Studien zur Geschichte der niederländischen Miniaturmalerei des XV. und XVI. Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.6174#0324
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3l2

Friedrich Winkler.

Ich gehe bei der Zusammenstellung der Werke des Meisters 1 von dem Titelblatt des Codex
9559/642 in Brüssel (Fig. 28) aus. Der Band enthält kleinere Werke der Christine de Pisan (Lettre
d'Othea etc.) in Abschrift, dann ein «livre intitule Senecque des quatre vertus» (angeblich in der
Übersetzung des Laurent de Premierfait, in Wirklichkeit von Jean Courtecuisse),3 «le Traite de
parier et de se taire» von Albertano de Brescia, 5 Bücher über den Namen von Paris «compile

par un notable clerc normant l'an de grace
1418» und zuletzt (fol. 118) «da description de
la ville de Paris et de l'excellence du royaume
de France transcript et extraits de plusieurs auc-
teurs par Guillebert de Mets l'an 1434».
Durch das letzte Werk hat die Handschrift schon
eine gewisse Berühmtheit erlangt. In ihr allein
ist eine sehr wertvolle Beschreibung des Paris
um 1400 durch Guillebert von Metz erhalten,
die von großer kulturhistorischer Bedeutung ist.4
Das Titelblatt am Anfang der Handschrift ist
mit der einzigen Miniatur geschmückt, die der
Band enthält. Es läßt sich leider nicht ent-
scheiden, ob das Datum 1434 auch für dieses
Bild gilt, da die Vereinigung der kleinen Einzel-
schriften zu einer Zeit geschehen sein kann,
als die Miniatur schon vorhanden war. Die
kleinen gemalten Buchstaben beim Abschnitt des
Guillebert de Metz sind sicher gleichzeitig mit
den auf die Titelminiatur folgenden angefer-
tigt, doch weichen bemerkenswerterweise die
Ranken um das Titelblatt von denen des Ab-
schnittes des Guillebert ab. Auch scheinen die
anderen Werke unseres Miniators bereits in den
zwanziger Jahren entstanden zu sein. Das spä-
teste Datum 1434 der Handschrift läßt sich also
nicht mit voller Sicherheit auf unsere Miniatur
beziehen. Da aber der Künstler merkwürdiger-
weise, wie wir sehen werden, Bilder zu einer
zweiten von Guillebert von Metz geschriebe-
nen Handschrift schuf, — es existiert außerdem
nur noch eine dritte Handschrift von Guille-
bert im Haag — so ist das Datum 1434 als «terminus post quem» nicht durchaus abzuweisen.5
Es wird gut sein, sich an diesem stattlichen Einzelblatt des Meisters seinen Stil klarzumachen.
In einem Gemach, das vorn durch zwei auf Steinbänken ruhende Säulen abgeschlossen wird, sitzt
die «Justitia» mit Schwert und Buch, an ihrer Seite links ein Bischof, das Mitleid verkörpernd,
rechts die «Untersuchung», durch einen schreibenden Mönch dargestellt. Auf die Justitia bezüg-
liche Inschriften schmücken die Vorderseite des Raumes («Verite», <■ Raison» usw.). Die Köpfe

Fig. 27. Brüssel, königl. Bibliothek, Cod. 9016.

1 Teile dieser Gruppe wurden von mir schon im Repertorium für Kunstwissenschaft 1911, S. 537 f., zusammengestellt.
5 Barrois, a. a. O., Nr. g33 (Invent. von 1467), 1818 (Invent. von 1487). Fälschlich auch «im Appendice» (Nr. 2288)
von Barrois aufgeführt. — Doutrepont, La literature francaisc ä la cour des ducs de Bourgogne 1909, p. 3oi.

3 Doutrepont, a. a. O., p. 129.

4 Le Roux de Lincy et Tisserand, Paris et ses historiens 1867, p. 125.

' Ich habe die Handschrift vergebens in dem burgundischen Inventar von 1420 (Doutrepont, Inventaires de la librairie
de Philippe le Bon [1420], Brüssel 1906) gesucht. Erst 1467 ist sie in der Bibliothek des Herzogs nachweisbar.
 
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