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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 32.1915

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Winkler, Friedrich: Studien zur Geschichte der niederländischen Miniaturmalerei des XV. und XVI. Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.6174#0329
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Studien zur Geschichte der niederländischen Miniaturmalerei des XV. und XVI. Jahrhunderts.

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bei der Inventarisierung der Handschrift, 1467, gemacht wurde — auch paläographisch weist die In-
schrift auf das XV. Jahrhundert —, die Entstehung des Werkes ebenfalls in das XV. Jahrhundert fällt,
wird die Handschrift vor dem Eintritt in die herzogliche Bibliothek keine großen Wanderungen durch-
gemacht haben. Wir dürfen nach ähnlichen Fällen annehmen, daß der Gouverneur von Lille die
Handschrift in der dortigen Gegend gekauft oder bestellt hat. Somit scheint auch diese Augustinus-
handschrift in die westlichen Teile der
Grenze von Frankreich und Belgien
oder nach Flandern zu gehören.

Die Titelminiatur des ersten
Bandes (Taf. XVIII) ist bereits von
Hulin1 behandelt worden. Nach ihm
ist die Miniatur das Vorbild für das
schöne Titelblatt der anderen reich
geschmückten Augustinushandschrift
der Brüsseler Bibliothek (9015/16)
gewesen, die 1445 für Jean Chevrot
hergestellt wurde (Taf. XIX) und die
wir früher behandelten, da ihr zwei-
ter Band Miniaturen des Meisters
der Privilegien von Flandern ent-
hielt. Hulins Beobachtungen bestehen
zu Recht. Augustin ist schreibend
an seinem Pult dargestellt, auf dem
einen Bilde liegen zahlreiche Bücher Fig. 33. Brüssel, königl. Bibliothek, Cod. 9005, Fol. 10.

als Zeugen seiner Tätigkeit um ihn

herum, auf dem anderen hat er eine Schar frommer Zuhörer um sich versammelt. Ihm gegenüber
ist Chlodwig, König von Frankreich, dargestellt; ein Engel fliegt mit dem Lilienwappen der fran-
zösischen Könige auf ihn zu; weiter links ist eine Taube sichtbar, die das Salbgefäß im Schnabel
hält; auf Augustin kommt von hinten ein Engel herab, rechts von diesem schwebt ein Adler in der
Luft, zwischen den beiden Hauptpersonen ist ein fünffach gezacktes Banner aufgerichtet. Trotz der
großen stilistischen Kluft zwischen beiden Bildern ist eine unabhängige Entstehung der beiden un-
denkbar; dagegen sprechen neben der kaum veränderten Anordnung der Engel und Tiere besonders
das gleich gebildete Banner, die Sonne mit dem Wolkenkranz2 am oberen Rande und jener Hügel
neben dem König, der auf dem älteren Bild als «monioye S. denys» bezeichnet ist. Für die Lo-
kalisierung des Meisters des Guillebert von Metz ist es jedenfalls von Wichtigkeit, daß das vom

1423 Baudouin de Lannoy, dritter Sohn des Ghillebert de Lannoy,
1435 Baudouin d'Ongnies,

1459 Jean de Lannoy, Sohn des Jean und der Jeanne de Croy,

1465 Antoine d'Ongnies, Sohn des Baudouin,

1467 Jean de Rosimboz, militärischer Lehrer Karls des Kühnen.»

1 Bulletin de la Societe d'histoire et d'archeologie de Gand XIX (1911), 329. — Hulin hat sehr wahrscheinlich gemacht,
daß die Handschrift für Guy Guilbaut, den Ratgeber, Schatzmeister, Verwalter aller Finanzen Philipps des Guten und Vor-
steher der Rechnungskammer in Lille, angefertigt wurde. Das Wappen der Handschrift ist das der Familie Guilbaut und
eine Tochter des Guy, namens Peronne, heiratete den Baudouin d'Ongnies, der — wie auch sein Sohn Antoine — Gouverneur
von Lille war (s. die vorige Anmerk.). Die Notiz «gekauft vom Gouverneur von Lille» bezieht Hulin auf Antoine, der durch
Erbschaft in den Besitz des Augustinus gekommen wäre. Aus dem Leben des Guy Guilbaut erschließt er, daß dieser sich zur
Zeit seiner Ernennung zum Vorsteher der Rechnungskammer in Lille, als er sich eine einflußreiche Stellung bei Philipp zu
schaffen begann, den Luxus geleistet haben könnte, eine große Miniaturhandschrift zu bestellen. In dieser Zeit, für die Hulin
die Jahre j417_1421 annimmt, würde die Handschrift auch dem Stil nach passen.

2 Diese verrät bei dem recht realistischen Meister der jüngeren Augustinushandschrift — er schuf wahrscheinlich die
Mehrzahl der frappant naturwahren Fußleisten der Heures de Turin, das Titelbild des Augustinus von 1445 bringt im Hinter-
grunde eine getreue Nachbildung der Kathedrale von Tournai — deutlich ihre Abstammung von älteren Vorbildern.
 
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