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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 32.1915

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Winkler, Friedrich: Studien zur Geschichte der niederländischen Miniaturmalerei des XV. und XVI. Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.6174#0346
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334 Friedrich Winkler.

IV. Der Gebetbuchmeister und seine Stellung in der Miniaturmalerei

um 1500.

Mit dem Tode Karls des Kühnen (1477) verschwinden die umfangreichen Bilderhandschriften
mehr und mehr aus der Geschichte der niederländischen Miniaturmalerei. Bis dahin hatten die
verschiedenen vom Hofe beschäftigten Miniaturisten Bibeln, Weltgeschichten, Romane und pädago-
gische Schriften, die oft für Philipp den
Guten und Karl den Kühnen ins Fran-
zösische übertragen wurden, schmücken
müssen. So entstand in den Vierziger-
und Fünfzigerjahren des XV. Jahrhun-
derts der Girard de Roussillon, die Chro-
nik von Jerusalem und die dreibändige
Chronik von Hennegau. Bald nach 1458
hat Tavernier die drei Bände der «Con-
quetes de Charlemagne» der Brüsseler
Bibliothek illustriert. Erst im folgen-
den Jahrzehnt haben Vrelant und Lie-
det den zweiten, beziehungsweise dritten
Band der Chronik von Hennegau aus-
geführt. Schon vorher (um 1455) ist
jener Meister der «Grandes Chroniques
de St. Denis» ( Petersburg) tätig gewesen,
der mit Simon Marmion identisch sein
dürfte und der unter anderen den zwei-
bändigen Jean Mausel («La fleur des
histoires») in Brüssel schuf. Jean Henne-
cart versah gleichzeitig kleinere Hand-
schriften mit Bildern. Auch Liedet hat
schon 1460 den Titus Livius der Arse-
nalbibliothek, 1461 die «Lettre d'Othea»
(Brüssel, 9392) geschmückt. Eines sei-
ner letzten Werke ist der vierbändige
Karl Martell in Brüssel, der 1470 ent-
stand. Neben diesen Künstlern wird
Fig. 50. Berlin, kgl. Kupferstichkabinett, 78 B. 15. hauptsächlich unter Karl dem Kühnen

der Meister des Goldenen Vlieses (Phi-
lippe de Mazerolles) beschäftigt. Seine Werke sind zusammen mit denen des Meisters der Peters-
burger Chronik und der Meister des Girard de Roussillon und der Chronik von Jerusalem die her-
vorragendsten Schöpfungen jener Epoche. Die Handschriften, die aus diesen drei Ateliers hervor-
gingen, verdienen allein in höherem Sinne Kunstwerke genannt zu werden. Die Bilderchroniken des
Vrelant und Liedet mögen durch die kulturhistorisch interessanten Einzelheiten fesseln, die Erfindung
und Ausführung aber läßt bei ihnen allzu oft auf einen sehr ausgebildeten Werkstattbetrieb schlie-
ßen. Der Zwang, eine außerordentlich große Zahl von Bildern den einzelnen Bänden einzufügen,
verleitete zu einer schematisierenden Buchausschmückung, deren Ideal zuletzt die technisch vollen-
dete Durchführung der einzelnen Blattseite werden mußte. Doch auch diesem Ideal wurde nicht
allzu eifrig nachgestrebt. Den Gehilfen überließ der Werkstattinhaber oft in weitgehendem Maße
die Ausführung. Nicht zum wenigsten fehlte es an dem erlesenen Farbengeschmack, der beispiels-
 
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