Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 32.1915

DOI Artikel:
Sitte, Heinrich: Ein vergessenes Parthenonbild
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6174#0433

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Ein vergessenes Parthenonbild.

4l3

mußte Studniczka 1912 feststellen.1 Das allgemeine Gesunden der ganzen Parthenon- und Phidias-
forschung bringt ja auch Plutarch als Quelle wieder zu allgemeinerer Anerkennung. Auch sie hätte
nie getrübt werden können ohne jene einseitige, ganz verfehlte Uberschätzung der Varvakion-
statuette als Anfang und Ende aller Begabung eines Phidias; wären wir nur bei Plutarch geblieben,
nie hätte eine so unfaßlich beschränkte Scheinvorstellung von Phidias mit allen ihren so bedauer-
lichen Folgen entstehen können; nur diese führte zu dem Phantom eines «Klein-Phidias», aus
welchem dann folgerichtig ein « Uber-Phidias» entspringen mußte. Da aber jetzt ganz allein aus
der natürlichen Kraft ihrer gesunden Quelle «diese alte Ansicht wieder an Boden gewinnt», so
handelt es sich diesmal darum: in «Carrey» ist auch Phidias bezweifelt worden.

In Schräders Aufsatz heißt es zum Schlüsse des Abschnittes über die Südmetopen:2 «Zur
Anordnung der Kampfszenen weiß ich im Augenblick nichts beizubringen — daß ,Carreys'
Reihenfolge nicht die richtige sein kann, lehrt ein Blick auf seine beiden letzten
Metopenblätter, wo hintereinander sechs Kentauren in fast gleicher Haltung und
Bewegung nach rechts aufgereiht erscheinen.» Und gerade für diese letzten Südmetopen
bringt nun Daltons Zeichnung den Beweis, daß sie am Bau genau so angeordnet waren, wie
«Carrey» sie getreulich abzeichnete. Dieses Urteil trifft also nicht mehr «Carrey»; es träfe Phidias,
und zwar nicht so sehr den äußerlichen Stil des Bildhauers als die Komposition, die Dichtung
des Phidias, und da gilt es wohl schärfer zuzusehen.

Uber die Komposition der Südmetopenreihe hat zuerst Passow in seinen schon genannten
Stud ien zum Parthenon gehandelt. Kr suchte über Roß' «vollkommenen Bankrott der Wissenschaft»3
und über Overbecks «energisches Ignorabimus»4 mit seinen Tetraden hinauszukommen; dies war
ein edles Bemühen nach größerer, wenn auch nur rein formal äußerlich großzügigerer Auffassung
bei einem Werke des Phidias; es war wohl aus dem tief beschämenden Gefühl entsprungen, wie
unwürdig jene nur jede Metope für sich als plan- und gedankenlos hingestreutes Ornament an-
sehende Meinung war gegenüber einem Manne, der zum ersten Male in aller Kunstentwicklung
zwei Giebel und einen auf vier Seiten eines Bauwerkes ausgedehnten Fries inhaltlich und formal
in so geschlossener Einheit zu schaffen wußte. Freilich ging Passow dann zu weit und wollte,
wie schon gesagt wurde, seine Tetraden nunmehr überall allzu schematisch streng durchgeführt
sehen; das brachte ihn fast dazu, die Metopen XI und XII in ihrer Reihenfolge vertauschen zu
wollen, und bei den Metopen XXV—XXXII versagte sein Prinzip gänzlich. Passow kehrte hier
nach dem so edlen reinen Versuch notgedrungen resignierend wieder zur alten Auffassung zurück:5
«Jede Metope ist offenbar nur für sich gedacht und für sich ausgeführt. Dabei ist mit dem Auf-
geben des» — nach Passows Meinung — «leitenden Planes keineswegs eine Abnahme des künst-
lerischen Könnens bemerkbar; im Gegenteil befinden sich gerade hier die viel bewunderten Stücke
XXVII und XXVIII. Nun ist es ja keine Frage, daß die Metope gemäß ihrer konstruktiven Auf-
gabe am Architrav eingliedrig ist und sich zu gruppenweiser Zusammenfassung von vornherein
ebensowenig eignet als etwa der epische Hexameter.»

Wir freuen uns über Passows lebendiges Empfinden für die ungeminderte künstlerische Kraft
der letzten Südmetopen der Osthälfte des Parthenon, wir freuen uns auch über seinen Hinweis auf
den epischen Hexameter. Eine «konstruktive Aufgabe am Architrav» haben die Metopen frei-
lich nicht zu erfüllen und trotz ihrer ganz richtig betonten «Eingliedrigkeit» kommen ja doch
inhaltlich Zusammenfassungen von zwei Metopenfeldern durch eine Darstellung manchmal vor,
aber Passows schöner Hinweis auf den epischen Hexameter erweckt Gedanken, die so verlockend
sind, daß man sich ihnen nicht ganz entziehen kann. Der epische Hexameter! — gewiß, ein-

1 A. a. O., S. 247-

2 A. a. 0., S. 53/54.

3 Passow, S. 33.

4 Passow, S. 34.
s Passow, S. 38.

55*
 
Annotationen