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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 33.1916

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I. Theil: Abhandlungen
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Planiscig, Leo: Geschichte der venezianischen Skulptur im XIV. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.6168#0125
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Geschichte der venezianischen Skulptur im XIV. Jahrhundert.

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Ein Beispiel dafür bietet das Grabmal des Andrea Morosini in der ersten Kapelle rechts
vom Chor in SS. Giovanni e Paolo zu Venedig aus dem Jahre 13481 (Fig. 80). Es ist
der übliche Sargkasten, von zwei Konsolen an der Mauer getragen. Inmitten der Vorderseite zwi-
schen gewundenen Säulen die Madonna auf dem Thron, dem Jesukinde die Brust reichend. An
den Ecken die Verkündigungsfiguren. Madonna und Kind zeigen eine größere Verwandtschaft mit
den Werken, die unter direktem toskanischen Einfluß stehen, als mit jenen, in denen eine innere
Weiterentwicklung dieser hergebrachten Formensprache zutage tritt.

Unserem Zeiträume fehlen Künstlerindividualitäten. Der Name des Arduin ist für uns
bedeutungslos. Wir müssen mit Werkstätten, mit Künstler- und Handwerkerkorpora-
tionen, mit botteghe- und tajapiera-Gruppen rechnen. Auch die Skulpturen des Portals von
S. Lorenzo zu Vicenza sind nicht das Werk eines Künstlers (der Unterschied zwischen den Tym-
panonfiguren und den übrigen Reliefs ist evident) sondern das einer Künstlerwerkstatt. Dessen-
ungeachtet treten gerade für unsere Zeit in der kunsthistorischen Literatur zwei Künstlerindivi-
dualitäten problematischer Natur als Repräsentanten der venezianischen Trecento-Skulptur auf:
der von Vasari erwähnte Jacopo Lanfrani und der von Cicognara genannte Filippo Calen-
dario.2

VIII.

Jene Selbständigkeit, die von der venezianischen Skulptur während der Jahre 1340—1350 er-
langt wurde, schloß bereits den Kern für eine weitere künstlerische Entfaltung in sich. Die Kunst-
bestrebungen, die am Portal von Vicenza zutage treten, finden gegen die Mitte des Trecento im Be-
reiche einer Werkstatt eine weitere, zum Teile selbständige, zum Teile durch neue Einflüsse be-
dingte Entwicklung. Auch diesmal entstand nicht auf dem Stadtgebiet Venedigs sondern in Padua
etwas Neues und Eigenartiges, eine Kunst, deren Enderzeugnisse nicht nur für die heimische Weiter-
entwicklung von größter Wichtigkeit wurden, sondern ihren Einfluß auch außerhalb Veneziens aus-
strahlen konnten.

An der Spitze dieser neuen Entwicklungsphase steht die Werkstatt des Andreolo de Sanctis.
Dem Namen De Sanctis begegneten wir bereits in Verbindung mit dem Grabmal des B. Odorico in
Udine. Wie dort erwähnt wurde, ist von einer engeren Verwandtschaft zwischen Filippo und
Andreolo nichts bekannt. Von Andreolo selbst wußte man — mit Ausnahme seines Anteiles an
der Erbauung der S. Feiice-Kapelle im Santo zu Padua — bis vor kurzer Zeit auch beinahe
gar nichts. Erst durch den glücklichen Fund eines Dokumentes3 und durch eine gewissenhafte
stilistische Untersuchung4 konnte man ihm, beziehungsweise seiner Werkstatt, eine Gruppe der
wichtigsten Monumente im venezianischen Trecento zuschreiben. Trotzdem wurde bis jetzt nichts über
den Ursprung seines Stiles gesagt. Der toskanische Einfluß, den Venturi5 als maßgebend für
die Werke Andreolos bezeichnet, ist — wenn auch aus anderer Quelle stammend — in ihnen deut-
lich erkennbar; er reicht aber bei weitem nicht aus, um diese neue venezianische Skulptur zu er-
klären. Der toskanische Einfluß ergibt sich aus der bisher verfolgten Entwicklung. Die Werke der

1 G. B. Soravia, Le chiese di Venezia descritte ed illustrate I (Venedig 1822), p. 70; Mothes a. a. O. I, S. 187;
Fulin-Molmenti a. a. O., p. 225; Meyer, Das venez. Grabmal etc.; Gabelentz a. a. O., S. 245.

2 Diese zwei Künstler sind durch ihre Namen berühmt geworden. Ihre Werke kennt man nicht. Das Grabmal des
Taddeo Pepoli in Bologna, das Lanfrani zugeschrieben wird, besteht aus Fragmenten der zweiten Trecentohälfte, die im XV.
Jahrhundert in einer neuen architektonischen Umrahmung verwendet wurden. Calendario ist ein Held der Romantik. Seit
Byrons Marin Faliero-Tragödie spukt er in der kunsthistorischen Literatur, doch den Dogenpalast hat er nicht erbaut. Ich
unterlasse es hier, mich mit der großen Literatur über die zwei Künstler zu beschäftigen, — das Ergebnis wäre negativ —
und nehme mir vor, die Frage aus kulturhistorischen Gründen an anderer Stelle neu zu behandeln.

3 G. Biscaro, Le tombe di Ubertino e di Jacopo da Carrara, in: «Archivio storico dell' Arte», Rom 1899, p. 88 f.

4 A. Moschetti, Süll'autore del monumento funebre di Enrico Scrovegni, in: <L'Arte», Rom 1904, p. 387.
s A. Venturi a. a. O. IV, p. 759 ff.
 
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