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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 34.1918

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I. Teil: Abhandlungen
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Planiscig, Leo: Randglossen zu Venedigs Bronzeplastik der Hochrenaissance
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https://doi.org/10.11588/diglit.6169#0022
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Leo Planiscig.

Sansovino die vier ehernen Statuen in den Nischen der Fassade aus. Zwischen 1539 und 1545
fallen auch die Werke der Skulptur, die Reliefs, welche die Loggettafassade schmücken. Daß
daran Girolamo Lombardo, Tiziano Minio und der Toskaner Danese Cattaneo tätig
waren, ist dokumentarisch festgelegt,1 der Anteil eines jeden aber schwer nachzuweisen. Lorenzetti,
der dies versuchte und meiner Ansicht nach auch glücklich zu einer Lösung gelangte, teilt die
verschiedenen Hände folgendermaßen: Girolamo soll die vier rechteckigen Reliefs unterhalb der
Nischen ausgeführt haben, Cattaneo die symbolische Darstellung der Insel Cypern (Fig. 15) auf
der Attika rechts, Minio die beiden anderen Reliefs, die mythologischen Szenen oberhalb der

Nischen und die Mehrzahl der anderen dekorativen Fi-
guren.

Ich möchte die Aufmerksamkeit auf die zwei dem
Tiziano Minio zugeschriebenen Reliefs (Fig. 16 und 17)
lenken, auf das Mittelstück der Attika, wo Venetia, die
Attribute der Gerechtigkeit, Schwert und Wage, in Hän-
den haltend, mitten im Meere auf zwei Löwen thront;
rechts und links, kulissenartig, ist die Terraferma mit
den zwei Venedig einfassenden Flüssen, rechts die Etsch,
nach antikem Muster als ein alter, liegender Mann, ein
Gefäß haltend, aus dem das Wasser hervorströmt, links
der Po in gleicher Auffassung versinnbildlicht. Auf dem
linken Relief der Attika ist, höchstwahrscheinlich als
Gegenstück zur Darstellung der Insel Cypern, die Can-
dias beabsichtigt,2 obwohl Laura Pittoni eine andere
Deutung versucht hat, die jedenfalls Beachtung finden
muß. Darnach wäre hier Zeus dargestellt, vom Adler
das Szepter empfangend, während Ganymed ihm die
Siegeskrone zubringt.3

Wichtiger als die spekulative Deutung dieser mit
dem allegorisch-mythologischen Ballast des Cinquecento
durchsättigten Reliefs erscheint mir die Feststellung ihrer
charakteristischen Formeigenschaften, vor allem der Be-
weis, daß sie von einer Hand stammen und daß sie von
dem dritten, Cypern darstellenden Relief stilistisch ver-
Fig. 21. Fortitudo. schieden sind. Schon durch den Vergleich der drei Ab-

Wien, Estensische Kunstsammlung. bildungen wird man leicht gewisse eigentümliche Derb-

heiten als den beiden zuerst genannten Reliefs gemein-
sam feststellen können: die kurzen Gestalten mit den massigen Köpfen, der ein wenig ins Kari-
katurenhafte gesteigerte michelangioleske Kontrapostwille kennzeichnen jene zwei dem Minio zu-
geschriebenen Reliefs, während das dritte, wo die liegende Venus Amors Botschaft empfängt, toska-
nisch-klassischer, beinahe schon im Geiste Giambolognas empfunden erscheint. Auch die Plastizität
der Formen ist hier, gegenüber den beiden anderen vollkommen malerisch gesehenen Reliefs, im
Sinne des Toskaners Sansovino von einem Toskaner, Cattaneo, durchgeführt worden. Dieser sich
hier unter den Schülern Sansovinos deutlich kennzeichnende Stilunterschied hat für unsere Frage
insofern eine Bedeutung, als wir beim Heranziehen dieser Reliefs für die Bestimmung des Autors
unserer zwei Heiligenstatuetten die Sicherheit erlangen, daß wir nicht allgemein typische, der San-
sovino-Schule anhaftende Eigentümlichkeiten als Grundlage genommen haben, sondern daß indivi-

1 Ongania, a. a. O., Dokumentcn-Band, Dok.-Nr. 175.

2 Vgl. T. Temanza, Vite dei piü celebri Architetti e Scultori veneziani, Venedig 1778, p. 232.

3 L. Pittoni, a. a. O., p. 205.
 
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