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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 34.1918

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I. Teil: Abhandlungen
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Kurth, Betty: Die Blütezeit der Bildwirkerkunst zu Tournai und der Burgundische Hof
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https://doi.org/10.11588/diglit.6169#0076
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Die Blütezeit der Bildwirkerkunst zu Tournai und der Burgundische Hof.

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sich vorläufig nur in Nebensächlichkeiten, in der Darstellung der Blatt- und Blütenspezies, der
Zeitkostüme in ihrer Mannigfaltigkeit, in der Individualisierung der Stoffe, in der Charakterisierung
und Bewegung der Tiere. Endlich atmet auch die genremäßige Auffassung der Szenen den Geist
der neuen Zeit. Und so dürfen wir die besprochene Teppichgruppe in gewissem Sinne mit zu
den Vorläufern und Vorbereitern des neuen naturalistischen Stils zählen, der sich zu jener Zeit in
den Niederlanden zu höchster Blüte entfaltet hat.1

Thomson hat mit Hilfe der an mehreren Stellen angebrachten Embleme und Devisen auch
die einstigen fürstlichen Besitzer der Teppiche zu ermitteln versucht.2 Die gotische Majuskel M, die
auf den Zäumen zweier Pferde erscheint3 (Taf. VI), in Verbindung mit den Margeriten, mit denen
auch hier Hüte und Gewänder
einiger Frauen geschmückt sind
(Taf. V, VI und Fig. 2), deutet
er wohl mit Recht auf den Na-
men Margarete,4 während ihn
das Motto «monte le desir», das
sich auf einem Frauenkleid findet
(Taf. V), an die Devise des Kö-
nigs Rene" von Anjou «d'ardent dd-
sir»5 erinnert. Für diesen Fürsten
bezeichnend scheint ihm auch die
Vorliebe für orientalische Erinne-
rungen, die auf den Teppichen
in einigen Kostümen sowie in den
Halbmonden, die einige Frauen
als Schmuck tragen, anklingen.
So gelangt Thomson zu der An-
nahme, die ich allerdings nicht
vorbehaltlos teilen möchte, daß
die Teppiche zu der 1445 statt-
findenden Hochzeit Heinrichs VI.
von England mit Margarete von
Anjou, der Tochter Renes, an-
gefertigt wurden; eine Hypothese,
durch die auch der gegenwärtige
Aufbewahrungsort der Stücke eine
natürliche Erklärung erfährt.6 — Leider vermag uns gegebenenfalls die Feststellung der fürstlichen
Besteller keinen, auch nicht den geringsten Fingerzeig zur Lösung der viel wichtigeren Frage nach

Fis

Teppichfragment mit Auszug zur Falkenjagd.
Minncapolis, Museum.

1 Vgl. darüber Max Dvorak, Das Rätsel der Kunst der Brüder van Eyck: Jahrbuch der Sammlungen des Allerhöchsten
Kaiserhauses, Bd. XXIV.

2 W. G. Thomson, The Art Workers Quarterly 1902, 1904.

J Hier sei darauf verwiesen, daß auf dem Maibild in den Tres Riehes Heures des Herzogs von Berry (Fig. 4) ein bis-
her unerklärtes nve« in analoger Verwendung erscheint.

4 Die Vorliebe für derartige — ja ganz identische — Namensembleme war in Frankreich sehr verbreitet. So führte
der Connetable von Clisson z. B. ebenfalls das gotische M als Chiffre in Verbindung mit Margeriten. Er war in zweiter Ehe
(seit 1379) mit Marguerite de Ronan verheiratet, wodurch das Emblem eine Erklärung findet. Das M und die Margeriten
erscheinen nach dem Inventar von 1407 auf Gewändern, Schmuck, Kunst- und Gebrauchsgegenständen aller Art; vgl. Francois
L. Bruel, Inventaire de Meubles et de Titres trouves au chäteau de Josselin ä la mort du connetable de Clisson (1407): Bi-
bliotheque de l'ecole de Chartes, Tome LXIV (1905), p. 193.

5 J. Dielitz, Die Wahl- und Denksprüche, Feldgeschreie, Losungen, Schlacht- und Volksrufe, Frankfurt 1884, p. 59.

' Zwei Embleme läßt Thomson unerklärt: die Minuskeln a und h auf dem Gewand eines Dieners (vielleicht Anjou,
Henry t) und die Devise einer Wolke, aus der Regentropfen fallen (?), auf dem Ärmel eines Jägers (Taf. V).

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