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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 34.1918

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I. Teil: Abhandlungen
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Kurth, Betty: Die Blütezeit der Bildwirkerkunst zu Tournai und der Burgundische Hof
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https://doi.org/10.11588/diglit.6169#0081
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Die Blütezeit der Bildwirkerkunst zu Tournai und der Burgundische Hof.

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Ist es aber gelungen, die Herkunft des Schwanritterteppichs aus Tournai nachzuweisen, so
erscheint nach dem Dargelegten auch die Lokalisierungsfrage für die übrigen von uns zusammen-
gestellten Werke gelöst.

Zur Stützung der von Morelowski aufgestellten Hypothese vermag ich überdies im folgenden
ein wichtiges neues Beweisstück zu erbringen.

Im Palazzo Doria zu Rom befinden sich zwei große (ca. 4 m 3o cm Höhe, 10 m Breite),
von der französischen Forschung bisher unbeachtete Bildteppiche von erlesener Schönheit, die die
Geschichte Alexanders, die Erlebnisse seiner Jugend und die Heldentaten seines Mannesalters,
nach der Erzählung des französischen Dichters Jean Wauquelin in mehreren reichbewegten phantasti-
schen Szenen illustrieren (Taf. VII, VIII). Über die Teppiche hat bisher nur Warburg in einer inter-
essanten kleinen Arbeit berichtet, in der er insbesondere dem Nachweise der literarischen Vorlage und
dem ikonographischen und geistigen Inhalt der Darstellungen aufschlußreiche Erörterungen widmet.1

Der Vergleich dieser Werke mit dem Schwanritterteppich läßt sie deutlich als dessen Ge-
schwister erkennen. Neben der analogen Darstellung des Himmels, der Blumenstauden, der Papier-
mache-Felsen, det Typen, — man vergleiche nur die eiförmigen Köpfe der Frauen (Taf. VIII), die
kräftige Individualisierung der männlichen Gesichter, die Zeichnung der Augen, des Mundes etc.
— stimmen auch die Architekturen, die hier und dort mit plastischen Werken geschmückt sind, in
ihren Formen überein. Auch erscheinen an den Teppichrändern auf archaischen Felsengebilden
die nämlichen vielgestaltigen Sträucher mit abgetreppten Stämmchen.

Durch die fast völlige Identität der reichgeschmückten Trachten rücken die beiden Teppich-
serien auch chronologisch in unmittelbare Nähe.

Fügen wir schließlich noch hinzu, daß, worauf schon Warburg mit Recht hinwies, der Vater
Alexanders und seine Gattin die Züge Philipps des Guten und Isabeaus tragen, — wie
Oriant und Beatrix auf dem Schwanritterteppich, — während Alexander selbst den Bildnissen
Karls des Kühnen frappant ähnelt, so ist unmittelbar klar, daß wir aus so zahlreichen Uber-
einstimmungen nicht allein auf denselben Herkunftsort der beiden Werke sondern auch auf die
nämliche Werkstatt, ja auf denselben Besteller zu schließen berechtigt sind.

Erfreulicherweise vermag ich vorliegendenfalls dieses auf stilkritischer Grundlage gewonnene
Ergebnis auch durch ein historisches Dokument zu belegen. Unter den Rechnungen der Herzoge
von Burgund ist eine Quittung aus dem Jahre 1459 erhalten, laut welcher Herzog Philipp der
Gute an Pasquier Grenier in Tournai für «une chambre de tapisserie de l'histoire d'Alexandre»
den Betrag von «cinq mille ecus d'or» gezahlt hat.2 In der Teppichserie befanden sich «six pan-
neaux de murailles». Für ihre besondere Größe spricht das in der Rechnung angegebene Gesamt-
maß von 708 3/4 Ellen, für ihre besondere künstlerische Bedeutung das kostbare Material und der
hohe Preis. Andere Quellen lassen erkennen, wie sehr die Herzoge von Burgund gerade diese
Teppiche vor anderen werthielten.3

Daß nunmehr zwei Stücke dieser berühmten Alexanderserie in den Tapisserien des Palazzo Doria
wiedergefunden erscheinen,4 kann nach der vorangehenden Beweisführung kaum angezweifelt werden.5

1 A. Warburg, Luftschiff und Tauchboot in der mittelalterlichen Vorstellungswelt: Illustrierte Rundschau, Beilage des
Hamburger Fremdenblatts, 2. März igi3 (85. .lahrgang, Nr. 252).

2 Eugene Soil, Les tapisseries de Tournai, Tournai 1892, p. 236.

3 Jules Guiffrey widmet in seiner «Histoire de la Tapisserie» diesen ihm nur aus literarischen Quellennachrichten
bekannten Teppichen die folgende Würdigung: «Parmt les tapisseries dont les ducs de Bourgogne se montraient parti-
culierement fiers, il en est une qui trouve tousjours place dans les ceremonies les plus solennelles. L'histoire d'Alexandre
avait decore l'Hötel d'Artois lors de l'entre'e de Lois XI. ä Paris en 1461 et soutenait sans desavantage Ie voisinage de la
tenture de Gedeon. Elle reparait ä Treves en 1473 et on voit par les soins dont on l'entoure que les ducs de Bourgogne
en tont un cas tout particulier. . . .»

4 Über die späteren Schicksale der Teppiche, über den Weg, auf dem sie nach Italien gelangten, konnte ich bisher
nichts in Erfahrung bringen.

5 Der Teppich mit der Geschichte Alexanders, der von Guiffrey und Soil mit obiger Rechnung in Beziehung gesetzt
wurde, ist von mir an anderer Stelle eingereiht und besprochen worden; vgl. die folgenden Ausführungen, S. 96 (Fig. 32).

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