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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 34.1918

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I. Teil: Abhandlungen
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Kurth, Betty: Die Blütezeit der Bildwirkerkunst zu Tournai und der Burgundische Hof
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https://doi.org/10.11588/diglit.6169#0090
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8o

Betty Kurth.

Friedrich Winklers maßgebendes Urteil zu allgemeiner Geltung gelangt.1 Für die Richtigkeit spricht
ebensosehr der stilistische Befund und die Identität der Inschriften auf beiden Werken wie die
Tatsache, daß die Darstellungen der Teppiche mit der aus dem Jahre 1552 überlieferten genauen
Beschreibung der Bilder2 völlig übereinstimmen. Daß der Hintergrund und die Trachten etwas
geändert erscheinen, ergibt sich einerseits aus den Bedürfnissen der spröderen Textiltechnik, anderer-
seits aus der Anpassung an die zeitgenössischen Moden.3 Denn die Rathausbilder wurden im
Jahre 1440 ausgeführt, während die Trachten des Teppichs auf seine Entstehung im dritten Viertel
des XV. Jahrhunderts weisen.

In allen stilistischen und technischen Besonderheiten tritt der Trajan- und Herkinbald-Teppich
in engste Beziehung zu den auf Tournai lokalisierten Arbeiten. Die Merkmale der Modellierung
und Komposition, die nur in der Perspektive einen Fortschritt zeigt, der Farbengebung und Ge-
wandbehandlung, die Typen und Trachten, die Darstellung der naturalistischen Akzessorien, des
Himmels, der Pflanzen, Bäume, Felsen sind in solcher Ubereinstimmung, daß sie die vielumstrittene
Frage nach der Provenienz des hervorragenden und berühmten Werkes einer Lösung nahe bringen.

Und weist schließlich nicht auch der Umstand, daß Kompositionen Roger van der Weydens
hier kopiert sind, auf Tournai, wo das Zurückgreifen auf Vorwürfe des bedeutendsten Tournaiser
Künstlers durch einen berechtigten Lokalpatriotismus eine natürliche Erklärung findet?

Teppich mit der Anbetung der Könige. Bern, Historisches Museum.4
Auch dieses Werk (3 m 68 cm hoch, 3 m 85 cm lang) wurde, wie schon Voll5 und neuerlich
Winkler6 annimmt, einem Vorbild Rogiers nachgebildet. Wenn es auch einen etwas vor-
geschritteneren Typus repräsentiert, steht es doch dem Trajan- und Herkinbald-Teppich in der
technischen und farbigen Durchbildung und in vielen Einzelheiten unmittelbar nahe. Auch teilt
es mit letzterem die Provenienz aus der Lausanner Beute von 1537 und trägt wie dieser das
Wappen des Bischofs von Lausanne, Georg von Saluces.7

Vier Teppiche mit der Geschichte Caesars. Bern, Historisches Museum (Fig. 11, 12).

Die Zugehörigkeit auch dieser berühmten Stücke (4 m 10 cm hoch, 6 m 3o cm bis 7 m 15 cm
lang) zu unserer Gruppe ergibt am deutlichsten der Vergleich mit den Alexander-Teppichen in
Rom, denen sie in ihren Einzelmerkmalen am nächsten stehen. Wir finden die nämlichen Kom-
positionsprinzipien, die nämliche Raumvorstellung hier und dort — den hohen Augenpunkt mit
dem steil ansteigenden Terrain, die unproportionierten Architekturen, das wüste Gedränge der
Kampfszenen.

Im Detail zeigen die Typen wesentliche Ubereinstimmungen. Man vergleiche wieder die ei-
förmigen Köpfe der Frauen, die zarten Gesichtszüge, den verschleierten Blick der hellen, scharf
konturierten Augen oder die individuelle Durchbildung der Männerköpfe. Die Kostüme, die Rüstun-
gen, die Waffen, die Stoffe und Zieraten sind die gleichen. Der eigentümlich schattierte Himmel
mit den stilisierten Wolkenformen erscheint auch hier und ebenso der Rasengrund mit einzelnen
naturalistisch gebildeten Pflanzen. Die Blumenarten sind auf allen Teppichen die nämlichen:
Veilchen, Winden, Gänseblümchen, Glockenblumen, Steinnelken, Disteln, wie aus einem botanischen
Lehrbuch abgezeichnet. Die Bäume erscheinen wie auf den Alexander-Teppichen in zweierlei
Formen, in einer ganz naturalistischen, die die bezeichnenden Merkmale der Spezies deutlich be-
tont und klar beschreibt, und in einer völlig stilisierten, die durch kugelige Form und parallele

1 Friedrich Winkler, Der Meister von Flemalle und Rogier van der Weyden: Zur Kunstgeschichte des Auslandes,
Heft io3, Straßburg 1913.

2 Die Bilder verbrannten mit dem Rathaus beim Bombardement der Stadt durch die Franzosen im Jahre 169;.

3 Vgl. auch Hans Kauffmann, Ein Selbstporträt Rogers van der Weiden auf den Berner Trajansteppichen: Repertorium
für Kunstwissenschaft, Bd. XXXIX (1916), S. 15 ff.

4 Abg. bei Migeon, a. a. O., p. 201.

5 Karl Voll, a. a. O. 6 Friedrich Winkler, a. a. O.

' Jakob Stammler, Der Domschatz von Lausanne. Idem, Die Burgunder-Tapeten im Historischen Museum zu Bern,
Bern 1889.
 
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