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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 34.1918

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I. Teil: Abhandlungen
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Kurth, Betty: Die Blütezeit der Bildwirkerkunst zu Tournai und der Burgundische Hof
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https://doi.org/10.11588/diglit.6169#0094
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84

Betty Kurth.

Zügen Julius Caesars, der tatsächlich mit Oriant und Philipp von Mazedonien Ähnlichkeit zeigt,
auch hier das Porträt Philipps des Guten zu erkennen geglaubt.1

Zwei Teppiche mit der Geschichte des Königs Clovis. Reims, Kathedrale.2
Diese Teppiche (4 m 75 cm hoch, 8 m 80 cm und g m 50 cm lang) stammen ohne Zweifel
aus dem Besitze der Herzoge von Burgund.3 Sie haben, wie aus alten Beschreibungen hervorgeht,
bei den prunkvollen Festen, die anläßlich der Hochzeit Karls des Kühnen mit Marguerite d'York
im Jahre 1468 gefeiert wurden, beim Schmucke der Säle eine wichtige Rolle gespielt.4 Nun war
bei dieser Hochzeit einer der Räume mit Teppichen geziert, die sicher aus Tournai stammten, mit
der berühmten Folge der Tapisserien des «Gedeon ou de la Toison d'or», die Herzog Philipp der
Gute bei Robert Dary et Jehan de l'Ortye, «marchans de tapisserie, demourant ä Tournay», im
Jahre 1449 hatte anfertigen lassen.5

Wenn dieses Zusammentreffen auch keine Berechtigung zu weitgehenden Schlüssen gibt, so
scheint doch dessen Hervorhebung nicht belanglos, wenn wir berücksichtigen, daß der Vergleich
der Clovis-Teppiche mit den besprochenen Werken, insbesondere mit den Alexander- und Caesar-
Teppichen, ihre Zugehörigkeit zu der Tournaiser Gruppe vorbehaltlos erkennen läßt. Von Raum-
vorstellung und Bildaufbau an bis zu der Durchbildung der Einzelheiten, der Darstellung der
Typen, Trachten, der Architekturen, des Himmels, der Blumen, der Seitenränder — sogar die radialen
Wellenstrahlen auf Türmen und Helmen finden sich wieder — sind alle bezeichnenden Merkmale,
alle stilistischen und technischen Handgewohnheiten der Schule hier nachzuweisen.6 Und die
Möglichkeit, daß die Clovis-Teppiche ebenso wie die Schwanritter- und Alexander-Teppiche von
Philipp dem Guten kurz nach der Jahrhundertmitte in Tournai bestellt worden sind, scheint nach
dem Dargelegten wohl der Erwägung wert.'

Teppich mit der Geschichte des Jephte. Saragossa, Kathedrale.8
Die Gemeinsamkeit der Herkunft dieses Teppichs (4 m 85 cm hoch, 7 m 20 cm lang) mit den
aufgezählten Werken bezeugt neben der völligen Stilübereinstimmung die von Morelowski durch-
geführte streng philologische Untersuchung der Inschriften,9 deren phonetische und orthographische
Eigentümlichkeiten sich als sprachlich identisch mit denen der «Ordonnances de Juges et Prevots
de Tournai»10 erwiesen haben.11

Zwei Teppiche mit der Legende des heiligen Kreuzes. Saragossa, Kathedrale.12
Alle mehrfach hervorgehobenen und präzisierten Kriterien der Schule von Tournai kehren
auch auf diesen besonders umfangreichen Arbeiten (4 m 90 cm hoch, 11 m 3o cm lang und 4 m

1 A. Wauters, Les tapisseries bruxelloises, Bruxelles 1878, p. 56. Weese, a. a. O., denkt wohl mit Unrecht an ein
Porträt Karls VII.

2 Abbgn. bei M. Sartor, Les tapisseries, toiles peintes et broderies de Reims, Reims 1912. — A. Darcel, Le tresor de
la cathedrale de Reims: Gazette des Beaux Arts 1881, p. 298. — Pinchart, Guiffrey, Müntz, Histoire generale de la tapisserie.

3 Von den einst vorhandenen sechs Teppichen existierten im Jahre 1840 noch vier. Zwei sind bei L. Paris, Toiles
peintes et tapisseries de la ville de Reims, Reims 1843, abgebildet.

4 J. Guiffrey, Les Tapisseries, p. 70 ff. — Thomson, A History of Tapeslry, p. 114 ff. — Migeon, Les Arts du Tissu,

p. 209.

5 Comte de Laborde, Les ducs de Bourgogne, Partie II, Tome I, p. J94. — Eugene Soil, Les Tapisseries de Tournai,

p. 233.

6 Ganz ähnlich wie auf den Berner Caesar-Teppichen sind auf den Clovis-Teppichen die Inschriften angebracht.

' Sartor, a. a. O. hat die Werke auf Arras lokalisiert. — Quicherat glaubte in Clovis das Porträt Karls VII. zu er-
kennen, eine Hypothese, die ich gegenwärtig aus Mangel entsprechender Detailaufnahmen nicht nachprüfen konnte. Vgl. Comle
Ed. de Barthelemy, Les Tapisseries de Reims: Bulletin monumental, Tome XLVI (1880), p. 23o. — Migeon, a. a. O., p. 210.

8 Abg. bei E. Berteaux, Les tapisseries flamandes de Saragoss?: Gazette des Beaux Arts 1909, I, p. 233. Von dieser
Tapisserie befinden sich, wie Berteaux mitteilt, zwei identische Exemplare in Saragossa.

9 Marian Morelowski, ■ a. a. O., Sp. 138.
,0 Eugene Soil, a. a. O., Anhang.

11 Marian Morelowski, a. a. 0., Sp. 13g, erinnert an die im Jahre 1461 vom Bischof Guillaume Fillastre (1451 —1473)
der Kathedrale von Tournai — später der Abtei St. Bertin zu St. Omer gespendete «histoire du vieil et nouvel testament si
comme la passion de Notre Seigneur» und weist auf die Möglichkeit hin, daß die Jephte-Teppiche zu jenen Werken gehörten.

12 Abg. bei E. Berteaux: Gazette des Beaux Arts 1909, I, p. 228 ff.
 
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