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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 34.1918

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I. Teil: Abhandlungen
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Kurth, Betty: Die Blütezeit der Bildwirkerkunst zu Tournai und der Burgundische Hof
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https://doi.org/10.11588/diglit.6169#0098
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88

Betty Kurth.

Teppich mit einem Ball wilder Leute. Saumur, Eglise Notre-Dame de Nantilly.1
Auch dieses ikonographisch so eigenartige Stück, das ich nur aus ungenügenden Reproduk-
tionen kenne, scheint mir mit Rücksicht auf die Gesichtstypen, die Proportionen, die Bildung der
Füße, die Behandlung der Pflanzen der Tournaiser Gruppe anzugehören.2

Drei Teppichfragmente mit Damen und Jünglingen. Früher Paris, Sammlung Sigis-
mond Bardac, seit 1909 New-York, Metropolitan-Museum (3 m 10 cm bis 3 m 50 cm hoch,
2 m 50 cm bis 3 m 40 cm lang, Fig. 16, 17).3

Hier ist insbesondere wieder die Eigenart der Typen, der Kopfformen, der Gesichts- und
Augenzeichnung, die plastische Prägnanz der Faltengebung und die Stoffbehandlung hervorzuheben.
Die Teppiche schließen sich vielleicht am unmittelbarsten an die früheste Tournai-
ser Gruppe, an die Stücke des Herzogs von Devonshire an. Sie dürften auch nicht lange
nach diesen, jedenfalls vor der Mitte des XV. Jahrhunderts entstanden sein.4

Zwei Teppiche mit Jagddarstellungen. Regensburg, Rathaus (Fig. 18, 19 und
Schlußvignette).

Auch diese beiden Werke, die der französischen Forschung bisher unbekannt geblieben sind,
erweisen sich als geradlinige Fortbildung der Londoner Jagdteppiche, ja sie zeigen 'die stärkste Stil-
kongruenz mit dem spätesten der vier Werke, dem Teppich mit der Rehjagd (Taf. VI). Zwar kann
in bezug auf die Perspektive, Raumbildung und die kompositioneilen Grundgedanken von einer
Weiterentwicklung nicht gesprochen werden. Denn in Zeiten wichtiger Stilwandlungen setzen ge-
rade Werkstattüberlieferungen den neuen allgemeinen Errungenschaften eine zähe Beharrlichkeit
entgegen. Doch weisen die Trachten und die naturalistische Spezialisierung der einzelnen Pflanzen
und Blumen deutlich auf eine Entstehung nach der Jahrhundertmitte. Beim Vergleich der Regens-
burger Arbeiten mit der späteren Tournaiser Gruppe, vor allem mit den Schwanritterteppichen,
ergeben alle Einzelheiten die Richtigkeit unserer Eingliederung.

Fragment mit Jagdszenen. Saumur, Eglise Notre-Dame de Nantilly (Fig. 20).5
Das Fragment zeigt so deutliche Familienähnlichkeit mit dem einen der Regensburger Stücke
(Fig. 19), daß wir ein zur nämlichen Serie gehöriges Werk vermuten dürfen. Man vergleiche die
Kopftypen, die Faltengebung, die Körperhaltung der Figuren, man vergleiche die Pferde mit den
zu hoch gestellten Ohren und den stilisierten gestreiften Mähnen. Der Zaum eines der Pferde ist
hier (Fig. 20) und dort (Fig. 19) mit Kleeblättern geschmückt. Die rhomboiden Blattformen auf
dem andern Pferdezaum erscheinen in analoger Form als Kopfschmuck einer Dame in Saumur.6

Teppich mit Jüngling und Dame vor einem Zelt. Sammlung des Grafen von
Valencia (Fig. 21).

Der Teppich (2 m 20 cm lang) befand sich im Jahre 1892 bei der Ausstellung in Madrid.7
Dort galt er als ein Werk, das anläßlich der Vermählung des Herzogs Ludwig von Orleans mit

1 Abg. Migeon, a. a. O., p. 274.

1 Was das ikonographische Motiv anbelangt, so sei hier an das burgundische Hoffest erinnert, bei dem Karl VI. mit
anderen Gästen in der Verkleidung wilder Leute einen Fakeltanz aufführte, der in so trauriger Weise durch ein Brandunglück
ein Ende fand. So scheint auch dieser Teppich durch sein Sujet mit dem burgundischen Hofe verknüpft. Vgl. Henri Bouchot,
Le maitre aux ardents: Revue de l'art ancien et moderne 1897, p. 247.

3 Catalogue de l'exposition des primitifs Francais 1904. — Migeon, a. a. O., p. 274.

4 Erwin Rosental (Die kunstgeschichtliche Stellung des chiro-xylographischen Exercitium super Pater noster: Mittei-
lungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst, Beilage der Graphischen Künste 1906, Heft 2, S. 19), der diese Teppiche
kürzlich in anderem Zusammenhange erwähnte, lokalisiert sie ebenfalls in das Gebiet der französisch-niederländischen Grenz-
lande und datiert sie in die dreißiger Jahre des XV. Jahrhunderts.

1 Joseph Destree, Etüde sur les tapisseries exposees ä Paris en 1900: Annales de la Societe d'archeologie de Bruxelles
igo3, p. 14.

6 Vielleicht sind hier Embleme zu sehen?

7 Las Yoyas de la Exposicion Historico-Europea de Madrid 1892, Tafel 165/66.
 
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