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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 34.1918

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I. Teil: Abhandlungen
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Kurth, Betty: Die Blütezeit der Bildwirkerkunst zu Tournai und der Burgundische Hof
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https://doi.org/10.11588/diglit.6169#0106
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96

Betty Kurth.

Die Zusammengehörigkeit der Vorzeichnungen mit den erhaltenen Tapisserien wird nicht nur
durch den von den Gesamtkompositionen bis zu den Details der Landschafts- und Typenzeichnung
kongruierenden Stilcharakter, nicht nur durch die ikonographische Übernahme der Illustrationen
(Fig. 29 und 3o) erwiesen sondern es finden sich sogar die auf der Rückseite |der Zeichnungen zum
Teil erhaltenen begleitenden Verse als Inschriften auf dem Teppich von Zamora.1

Schon Schumann hat, ohne die von uns abgeleiteten Zusammenhänge zu kennen, lediglich
auf Grund stilkritischer Betrachtung, die Zeichnungen, die er mit Recht ins dritte Viertel des
XV. Jahrhunderts datiert, auf eine Schule Nordfrankreichs zu bestimmen versucht. Tatsächlich
tragen die Verse die Eigentümlichkeiten der Tournaiser Mundart. Die Ubereinstimmung der Tep-
piche mit der späteren Gruppe von Tournai löst jeden etwa noch auftauchenden Zweifel.

Nun hat im Jahre 1472, wie uns erhaltene Rechnungen überliefern, der Magistrat von Brügge
bei Pasquier Grenier zu Tournai eine Tapisserie2 mit der «Destruction de Troie» gekauft und
1474—1475 bezahlt, die bestimmt war, Karl dem Kühnen als Geschenk dargeboten zu werden.3

Ziehen wir das zeitliche Zusammentreffen mit dieser Urkunde sowie die Stilübereinstimmung
mit den bei Pasquier Grenier erworbenen Esther-Teppichen in Betracht, so erscheint die Annahme
einer Herkunft auch des trojanischen Krieges aus der Tournaiser Werkstatt und dessen Identifizierung
mit dem in den Quellen angegebenen Werk als folgerichtiges Schlußglied unserer Beweiskette.

Teppich mit der Geschichte des Brutus. Saragossa, Kathedrale (8m lang, 4m
70 cm hoch).4

Ein Werk, das schon von Berteaux mit dem Esther-Zyklus in das nämliche damals noch un-
benannte Kunstzentrum verwiesen wurde.5

Teppich mit der Geschichte des Herkules. Brüssel, Musees Royaux du Cinquan-
tenaire, früher Sammlung Somzee (3 m 87 cm hoch, 5 m 10 cm lang, Fig. 3i).6

Kompositionsprinzip, Trachten, Typen, die Art der Beischriften bei den bemerkenswertesten
Persönlichkeiten, Architekturen und naturalistisches Beiwerk zeigen so schlagende Analogien mit
den Esther-Zyklen und dem trojanischen Krieg, daß an der Identität des Herkunftsortes wie an
der künstlerischen Stammverwandtschaft nicht gezweifelt werden kann. Die Entstehung auch dieses
Werkes ist in die siebziger Jahre des XV. Jahrhunderts zu setzen.

Teppichfragment mit Szene aus der Geschichte Alexanders. Lyon, Sammlung
Aynard (3 m 87 cm hoch, 4 m 85 cm lang, Fig. 32).

Bei der Häufigkeit der in den Inventaren des XV. Jahrhunderts überlieferten Darstellungen
des Alexander-Romans auf Teppichen kann es nicht wundernehmen, die Illustration dieses Stoffes
ein zweitesmal wieder zu finden. Um so mehr muß ich mit Hinblick auf meine vorangehenden Dar-
legungen Soils Identifizierung des vorliegenden Fragments mit einem der durch Philipp den Guten bei
Pasquier Grenier 1459 gekauften Alexander-Teppiche ablehnen.7 Zwar ist auch das Stück der
Sammlung Aynard in Tournai angefertigt worden; schließt es sich doch, wie der Vergleich über-
zeugend lehrt, in Stil und Technik unmittelbar an die Esther-Zyklen und den trojanischen Krieg.
Doch da nach Ausweis des Stils und der Trachten seine Entstehung in die siebziger Jahre fällt,
also um beiläufig zwei Jahrzehnte später anzusetzen ist als die der viel bedeutenderen Alexander-
Teppiche in Rom, so entzieht es sich dem chronologischen Umkreis der von uns bereits heran-
gezogenen Urkunde.

1 Jean Guiffrey, a. a. O.

2 Das Wort «Tapisserie» kann sehr wohl auch für eine ganze Serie verwendet werden.

3 Eugene Soil, a. a. O., p. 243.

4 E. Berteaux: Gazette des Beaux Arts 1909, I, p. 227.

5 Ich kenne nur ungenügende Abbildungen dieses Teppichs, glaube ihn aber trotzdem hier einreihen zu dürfen.

6 Joseph Destree et Paul van den Ven, a. a. O., Taf. 0.

7 Eugene Soil, a. a. O., p. 236.
 
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